Päpstin Johanna · Legende aus Rom · Vatikan
Die Geschichte von Päpstin Johanna ist eine der bekanntesten und zugleich umstrittensten Legenden des Mittelalters.
Die Legende taucht erstmals Mitte des 13. Jahrhunderts in Chroniken auf, also rund 400 Jahre nach der angeblichen Zeit, in der Johanna gelebt haben soll.
Die frühesten schriftlichen Quellen sind das Chronica universalis Mettensis von Jean de Mailly und der Tractatus de diversis materiis predicabilibus von Stephan von Bourbon.
Der Dominikanermönch Martin von Troppau (Martinus Polonus) verlegte die Geschichte in seiner Chronik von 1277 ins 9. Jahrhundert und ergänzte sie um das zentrale Motiv der Schwangerschaft und Niederkunft während einer Prozession in Rom.
Johanna wird laut Legende in der Nähe von Mainz geboren. Ihr Vater ermöglicht ihr eine außergewöhnliche Bildung. Sie verkleidet sich als Mann, nimmt den Namen Johannes Anglicus an und studiert in Athen.
Als Gelehrter steigt sie in der katholischen Kirche auf und wird schließlich nach dem Tod von Papst Leo IV. im Jahr 855 zum Papst als Johannes der VIII. gewählt.
Während einer Prozession in Rom bringt sie ein Kind zur Welt. Die Reaktionen darauf variieren je nach Version: Entweder wird sie von einer empörten Menge getötet oder in ein Kloster verbannt.
Die Existenz einer Päpstin Johanna ist historisch äußerst zweifelhaft. Kein zeitgenössisches Dokument aus dem 9. Jahrhundert erwähnt sie, und die ersten schriftlichen Überlieferungen stammen erst aus dem 13. Jahrhundert – einer Zeit, die für ihre Fabulierfreude bekannt ist. Die meisten Historiker gehen deshalb davon aus, dass es sich um eine Legende handelt, die möglicherweise aus kirchenkritischen Motiven entstand oder auf Missverständnissen beruht.
Die Legende wurde im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit vielfach weitererzählt, ausgeschmückt und fand Eingang in zahlreiche Chroniken und literarische Werke. Sie inspirierte Romane, Theaterstücke und Filme, zuletzt auch den Bestseller »Die Päpstin« von Donna Cross. In der Volkskultur hielt sich zudem das Gerücht, dass neu gewählte Päpste auf einem Stuhl mit Loch sitzen mussten, um ihr Geschlecht zu überprüfen – ein Brauch, für den es jedoch keine historischen Belege gibt.
Die Geschichtswissenschaft ist sich heute weitgehend einig, dass Päpstin Johanna eine Legende ist und es kein reales historisches Vorbild für sie gab. Auch vermeintliche Indizien wie der sogenannte »Stuhl mit Loch«, auf dem Päpste angeblich zur Geschlechtsprüfung sitzen mussten, sind nicht als Beweis anerkannt, da es keine Belege für diesen Brauch im Zusammenhang mit der Legende gibt.
Die Legende von Päpstin Johanna ist ein faszinierendes Beispiel für mittelalterliche Erzählkunst und Symbolik, aber nach heutigem Forschungsstand gibt es keine belastbaren Beweise für ihre tatsächliche Existenz.