Der Hase und der Untergang der Welt · Vorstellung und Erleben · Parabel
In Indien lebte einst ein sehr alter und weiser Löwe, der als König aller Tiere galt.
Stark war er, trotz seines Alters, mutig und vor allem weise. Nicht nur sein eigenes Wohl lag ihm am Herzen, sondern auch das Wohlergehen aller Tiere in seinem Reich.
In seiner Nähe erstreckte sich ein großer Wald mit unzähligen Bilva-Bäumen und Fächerpalmen. In diesem lebte auch ein kleiner Hase, der von einer Sorge geradezu besessen war:
»Was mache ich bloß, wenn die Welt untergeht?«, fragte er sich unablässig. »Was wird wohl dann aus mir werden?«
Wieder einmal, als er ganz in seinem Grübeln versunken war, fiel eine Frucht vom Bilva-Baum und landete direkt auf dem Gebüsch, unter dem er seinen Gedanken nachging.
Jetzt bekam er einen riesigen Schrecken und war sich sofort ganz sicher: »Das ist der Untergang der Welt!«
Nichts hielt ihn mehr zurück, und er rannte blindlings los, um sein nacktes Leben zu retten.
Das sah ein anderer Hase, und als der auch von der bevorstehenden Katastrophe hörte, hoppelte er, ohne zu zögern hinterher, so schnell er konnte mit.
Bald waren alle Hasen des Waldes auf den Beinen, und wie von selbst schlossen sich auch viele andere Tiere der Flucht an.
Gazellen und Eber waren dabei, Hirsche und Büffel, Elefanten und Nashörner und sogar die Tiger machten sich mit auf den Weg.
Ganz schnell war die dahin stürmende Tier-Karawane über mehrere Kilometer lang.
Als der König der Tiere, der alte weise Löwe, dessen gewahr wurde, ließ er einen mächtigen Löwenruf erschallen, der die verängstigten Tiere in ihrem Lauf schlagartig einhalten ließ.
Mit kühlem Kopf und ruhiger Stimme erkundigte er sich nach der Ursache für diese rasante Flucht, die doch nur in einem Unglück enden konnte.
»Die Welt geht unter«, bekam er vielstimmig zu hören, was er allerdings für eine ausgemachte Dummheit hielt.
»Woher wisst ihr das?« wollte er wissen und wurde an die Elefanten verwiesen, die ja auch als sehr schlau gelten.
Die schüttelten aber nur ihre großen Ohren und zeigten auf die Tiger, die zeigten auf die Nashörner und so fort, bis endlich zum Schluss der kleine Hase Rede und Antwort stehen sollte.
»Ich weiß es ganz gewiss« stammelte er und berichtete von seinem schrecklichem Erlebnis, als er unter seinem Busch lag.
»Ich habe das Bersten der Erde selbst gehört!« war seine Antwort.
»Das ist doch blanker Unsinn« erwiderte der Löwe. Und nach weiterer Befragung und näherer Beschreibung des noch immer zitternden Häschens schloss der König der Tiere, dass es wohl nur eine herabfallen Bilva-Frucht gewesen sein könnte, die das furchterregende Geräusch ausgelöst habe.
Seine Vermutung bestätigte sich dann auch bei der anschließenden Ortsbesichtigung. Der Hase beruhigte sich nach einiger Zeit wieder, und bei den anderen Waldbewohnern legte sich die Angst auch wieder nach und nach.
Lehre: Wer sich von seiner Panik ins Bockshorn jagen lässt, rennt in sein Verderben!