Der verliebte Referendar · Geld Liebe Heirat und eigenes Heim
Ich war auch verliebt. Tatsächlich. Und es war eine wirkliche, ordnungsgemäße Liebe …
Ich war damals Praktikant bei einem Gericht. Es ist die erste Stufe der Laufbahn; man ist bereits staatlich und leistete so eine Art von Beamteneid.
Auch erhält man eine Bezahlung; ich glaube monatlich sechzig Cent für den Verbrauch von Federn und Papier. Das heißt, ich erhielt das Geld nie; unser Präsident gab uns die Schreibmaterialien und vertrank dann wohl den ganzen Betrag selbst.
Aber es war in uns doch das Bewusstsein, dass wir in die Beamtenkategorie eingereiht waren. Und da denkt man unwillkürlich auch an das Heiraten. Man stellt sich das so vor: Anstellung, Beförderung, das eigene Heim. Ich glaube, dass alle Referendare die gleiche Idee haben. Noch dazu wäre es mir sehr erwünscht gewesen, ein anständiges, das heißt also, ein wohlhabendes Mädchen heimzuführen.
Das ist ja heute das einzige Mittel, aus unseren Kapitalisten Geld heraus zu bekommen. Das gab es den Privatier Gillinger mit zwei Töchtern, und der Getreidehändler Scholler mit der siebzehnjährigen Elsa, die immer das stramme Korsett an hatte.
Die Gillingers hätten auch Geld gehabt, aber, ich weiß nicht. Ein bisschen Fleisch soll doch schon vorhanden sein; so ein knochiges Wesen hat äußerst selten ein weiches Gemüt.
Deshalb verwandte sich mein ganzes Bemühen auf Fräulein Scholler zu. Ich glaube noch heute, dass ich glücklich geworden wäre. Ich versäumte nie, sie zu grüßen, wenn ich sie am Fenster sah. Und da mir, wie heute noch, klar war, dass alles Uniformliche, Kostümliche stark auf die Frauen wirkt, zeigte ich mich häufig in der Robe.
Ich war immer ein Mensch von raschem Entschluss, und da ich mir sagte, dass bei meiner gesellschaftlichen Stellung eine leere Liebelei zwecklos und unmoralisch wäre, nahm ich mir einfach vor, Herrn Getreidehändler Scholler zu besuchen.
Kurz und gut, ich machte meine Aufwartung und wurde auch nett empfangen. Der Alte war ein gemütlicher Mensch und bemühte sich offene und gute Manieren zu zeigen.
Elsa kam, und wir sprachen von diesem und jenem. Auch von meiner Stellung und meinen Aussichten. Ich sagte, dass ich Richter werden wolle, weil mir das am besten zusage. Man sei unabhängig, würde mit vollem Gehalt pensioniert, und dann genieße der Richter doch ein kolossales Ansehen.
Ich bemerkte mit Vergnügen, dass Herr Scholler meinen Ausführungen sichtliches Interesse schenkte. Er ließ mich nicht aus den Augen; besonders dann, wenn ich die Vorzüge meines Berufes rühmte und über meine Zukunft sprach.
Ich war darüber nicht erstaunt, denn ich habe immer gefunden, dass man gerade in bürgerlichen Kreisen einen großen Respekt vor der akademischen Bildung hege.
Ich wurde gesprächig, ich zeigte mich Elsa im schönsten Licht und beschloss, den braven Leuten schon bei meinem nächsten Besuch meine Absichten zu enthüllen.
Ich verabschiedete mich. Im dunklen Hausgang hielt mich Herr Scholler einen Augenblick zurück und sagte: »Wissen Sie, wir hatten auch mal einen Rechtspraktikanten in unserer Familie. Ich weiß, was für arme Teufel das sind. Hier, behalten sie das!«
Dabei drückte er mir etwas in die Hand und schob mich gutmütig hinaus.
Es war ein 10 Euroschein. Ich habe daraufhin das Frauenzimmer einfach links liegen lassen.
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Autor: N. N.
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Übe dich gelegentlich im Schweigen und sprich nur, was anderen und dir selbst von Nutzen ist. Vermeide allgemein zeitraubende Unterhaltungen.
Aventin