Das Pferd und der König

Das Pferd und der König · Allegorie · Johann Gottfried Herder

Ein König im fernen Land hatte ein schönes Pferd, welches er besonders liebte. Durch ein Versehen des Stallknechts aber starb das Pferd. Der König war darüber so zornig geworden, dass er eine Lanze ergriff um den Knecht damit zu durchbohren. 

Glücklicherweise war sein Kanzler zugegen, der dem König folgendes sagte: »König, bald wäre dieser Mensch des Todes gewesen, ohne aber von der Größe seines Verbrechens überzeugt zu sein. Findest du das richtig so?«

»Überzeuge ihn also,« sprach der König. 

Da ergriff der Kanzler die Lanze, wendete sich dem Knecht zu und sprach:

»Kind des Unglücks! Siehe, das sind deine Verbrechen; höre sie sorgsam an. Zuerst bist du schuldig am Tod des Pferdes, dessen Verpflegung dir der König aufgetragen hatte.«

»Für’s andere bist du schuldig, dass der König, mein Herr, wegen des verstorbenen Pferdes sich so entrüstet hat, dass er selbst Hand an dich legen wollte.«

»Siehe, das ist ein weiteres Verbrechen, noch größer als das vorige.«

»Endlich muss es auch das ganze Land mit allen umliegenden Gegenden erfahren, dass der König, mein Herr, um eines Pferdes willen einen Menschen getötet hat. Dadurch verliert er zusätzlich auch noch seinen guten Namen!«

»Siehe, du Unglückssohn, das ist dein größtes Verbrechen! So viel andere Dinge zieht deine Schuld nach sich! Erkennst Du es nun?«

»Oh lass ihn gehen!« rief da der König. »Um seinetwillen will ich meinen guten Namen sicherlich nicht verlieren. Ihm sei vergeben!«

Das Pferd und der König · Allegorie · Johann Gottfried Herder · Um des Namens willen


Achtsame Bewusstheit ist ein Tor zur Glückseligkeit.


Daniela Kolk