Niobe · Griechische Sage

Niobe · Griechische Sage · Stolz · Mythologie

Niobe, die Königin von Theben, hatte die Gewohnheit, sich immer selbst zu loben. Allzu sehr rühmte sie ihren Körper, ihre Weisheit und ihren Reichtum. Aber vor allem erfüllte sie die große Anzahl ihrer Kinder mit großem Stolz: Sie hatte nämlich sieben Söhne und sieben Töchter.

Einmal fasste in Theben eine junge Frau, die eine Tempelwächterin der Göttin Leto war, den Beschluss, die thebenischen Frauen zu versammeln. Nachdem sie sich einen Kranz auf den Kopf gesetzt und ein schönes Kleid angezogen hatte, lief sie deshalb durch die Straßen der Stadt und rief: »Frauen, kommt in den Tempel der Leto und bringt der Göttin und ihren Kindern Opfer dar!«

Und tatsächlich betraten am folgenden Tag viele Frauen den Tempel. Kaum hatten sie die Opfer begonnen, als plötzlich die Königin Niobe eintrat und voller Zorn ausrief: »Welcher Wahnsinn, ihr Frauen, hat euch denn hierher getrieben? Ich frage euch, warum ihr fremde Götter verehrt und göttliche Menschen wie mich schändlich beiseite liegen lasst! Ich will von euch sofort wissen, ob ihr Leto oder mich für wichtiger haltet!«

Die anwesenden Frauen, von so großer Überheblichkeit sehr bewegt, senkten ihre Blicke auf die Erde. Die Königin jedoch fuhr unverzüglich weiter fort zu sprechen:

»Wisst ihr etwa nicht, dass Koios mein Vater gewesen ist, dem es erlaubt war, mit den Göttern zu speisen? Ist denn nicht Zeus selbst mein Großvater? Nehmt euch deshalb Zeit zum Nachdenken: Mir gehorchen die Völker Phrygiens und ICH besitze gewaltigen Reichtum. Außerdem werdet ihr durch Vergleichen leicht erkennen können, dass ICH genau so schön bin wie diese Göttin da. Fügt dann noch die große Anzahl meiner Kinder hinzu! Leto hat nur zwei Kinder – das ist nur der siebte Teil meiner Freude!«

Weiter fügte sie hinzu: »Ich bin so glücklich und so mächtig, dass die Schicksalsgöttin keine Fähigkeit hat, mich zu verletzen. Auch wenn Tyche mir einige Kinder entreißen sollte, würde ich dennoch niemals zu dieser kleinen Zahl der Kinder der Leto herabsinken. Deshalb hört mit dem Opfern auf, ihr dummen Frauen, und geht wieder nach Hause!«

Nachdem die Frauen diese Worte gehört hatten, verließen sie sofort die Altäre und den Tempel. Aber die Göttin Leto, die mit Sohn Apollon und Tochter Artemis von einem sehr hohen Berg aus diese Schandtat gesehen hatte, sprach: »Ich kann es nicht mehr ertragen, dass diese sterbliche Frau mich und euch derart mit Worten entehrt. Bestraft sie!«

Apollon und Artemis flogen sodann in einer Wolke verborgen schnell nach Theben. Vor den Mauern der Stadt trainierten gerade die Söhne der Niobe mit Laufen und Kämpfen ihre Körper. Apollon, im Pfeileschießen sehr erfahren, spannte den Bogen und tötete alle jungen Männer.

Nachdem diese Nachricht der Niobe gebracht worden war, eilte die Königin sofort hinaus zu ihren toten Söhnen. Weinend und voller Hass sagte sie: »Freue dich, grausame Leto, dass du mir sieben Söhne entrissen hast. Freue dich, dass du gesiegt hast!«

Aber nur wenig später rief sie aus: »Habe ich etwa gesagt, dass du gesiegt hast, grausame Göttin? Du hast gewiss nicht gesiegt: Ich habe nämlich mehr Kinder als du.«

Kaum hatte die Königin diese Worte voller Kühnheit ausgesprochen, als Artemis schon da war und außer einer einzigen, alle Töchter der Niobe mit schnellen Geschossen tötete.

Das Übermaß ihres Schmerzens ließ Niobe sodann zu einer Felswand versteinern. Man sagt, da wo aus dem Steinmassiv Sturzbäche hervor brechen, da vermutet man ihre Augenhöhlen.

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Glück ist nicht in einem ewig lachenden Himmel zu suchen, sondern in ganz feinen Kleinigkeiten, aus denen wir unser Leben zurechtzimmern.


Carmen Sylva