Musik der Insel

Musik der Insel · Ernst Penzoldt · Naturtöne

Womit könnte ich Dich noch auf eine Insel locken, wenn nicht durch Ariels Gesang, also mit Hilfe Deiner musikalischen Natur. Du wirst freilich sagen, was man dort hört, das ist doch keine Musik! Musik kann nur der Mensch machen!

Ich gebe Dir recht, aber komm nur erst einmal mit und höre zu! Mit dem feinsten Ohr wirst Du sogar das zarte Klingen des Sandes vernehmen, keine Sonate natürlich, aber doch so etwas wie die freien Elemente der Musik, süßen Wohllaut jedenfalls.

Manchmal freilich, wenn man irgendwo in der Mondlandschaft der Dünen in der Sonne liegt, kann man wohl erschrecken über ein unerwartetes Lachen, ein heiseres, kurzes, höhnisches hä-hä, dass einem die Haut schaudert, bis Du die Möwe siehst, die lautlos vom Aufwind sich vorüber tragen lässt.

Wenn Du über die Heide gehst, ertönt die Luft von Lerchengesang. Ich gebe zu, die Laute wiederholen sich stark, sie reiten immer wieder auf derselben Figur und demselben Rhythmus herum, manchen neueren Komponisten ähnlich, aber der Raum des Himmels über Dir bekommt erst dadurch seine Form, und wenn ich mir die Hölle vorstellen soll, dann in furchtbarer Stille und in völliger Laut- und Raumlosigkeit.

Das Wogenrauschen des Meeres gibt natürlich auch viel her, und ich wundere mich immer, wie das Wasser, das durchsichtige und flüssige Element, so metallisch laut sein kann. Allmählich hört man auch da einen gewissen Rhythmus heraus und wartet auf den Einsatz des Blechs, die Trompeten und Posaunen.

Die Musik der Steine, denn auch sie, die stummen, haben ihre Musik, wenn sie in zurückflutender Welle aneinander schlagen, und das hohle Seufzen und Gurgeln an den Buhnen – lauter Geräusche nur, wirst Du sagen, nicht Musik, aber Stimmen sind es, denen Du lauschst. Sie haben einem allerlei zu sagen.

Auch wenn man bei Ebbe am Watt entlang wandert, ehe die Flut kommt, dann hörst Du ein Singen, Flüstern und Rieseln, von den Melodien des Windes gar nicht zu reden und dem Rufen der Strandvögel, den frechen Pfiffen der Austernfischer und dem wehleidigen Tü-Tü der Rotschenkel.

Manchmal dröhnt von ferne ein gewaltiger Paukenschlag, von einem Schiff vermutlich. Und dann ist da noch etwas, nicht draußen in der Landschaft, sondern in unserem strohgedeckten Haus, ein chinesischer Gong, aber nicht so ein gewöhnlicher, flacher, an die Wand zu hängen, sondern ein bäuchiges Bronzegefäß mit einer in Silber tauschierten Drachengirlande.

Wenn man mit dem wohlgeformten Schlegel an den inneren Rand schlägt, dann tönt es minutenlang nach. Ich habe es mit der Uhr in der Hand ausprobiert. Es muss ein Tempelgong sein, denn er klingt feierlich und vertreibt die bösen Geister. Es ist ein heilsamer, die Unruhe ordnender Ton.

Doch damit Du endlich auf Deine Kosten kommst, Du musikalischer Mensch, ein wenig wenigstens, erzähle ich Dir rasch noch von Uwe, dem kaum neunjährigen Musikanten, der das Schifferklavier, die Ziehharmonika, schon recht artig zu quetschen versteht, reizend anzuschauen, seinem Beethoven-Bubengesicht mit kurzer Pagenfrisur und seiner genierten Koketterie.

Der kleine Künstler trägt ein brombeerfarbenes Samtwams. Er hat es bestimmt faustdick hinter den Ohren und kennt wohl seinen Zauber.

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Autor: Ernst Penzoldt

Bewertung des Redakteurs:
4

Denke an etwas, was du täglich machst, wie zum Beispiel eine Tür mit einem Schlüssel aufsperren. Wenn du beim nächsten Mal einen Schlüssel ins Schloss steckst, spüre dabei den Mechanismus dieser ganzen Aktion sowie die Zusammenarbeit mit deinem Körper. Beachte dabei auch, was du in dem Moment, wenn du die Töre öffnest, empfindest und wohin dich diese Tür führt.
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