Der verschmuste Esel

Der verschmuste Esel · Gesta Romanorum · Fabel 

Es war einmal ein König, der kleine Hunde über alles liebte. Er nahm sie in seine Arme, ließ sie auf seinem Schoß schlafen und verwöhnte sie nach Strich und Faden mit den besten Bissen von seiner Tafel.

Wenn die kleinen Hunde tagsüber und manchmal auch in der Nacht laut kläffend bellten, so störte es ihn nicht.

Die kleinen Hunde gewöhnten sich bald daran, nur beim König zu sein, in seinen Armen zu schlafen und mit ihm zu speisen. Zärtlich schmiegten sie sich oft an ihn und legten ihre weiche Pfoten um seinen Hals.

Dem König gefiel das, er hatte seinen Spaß mit den kleinen niedlichen Tierchen. Ihre Spiele unterhielten ihn und ließen ihn die Sorgen und die Mühsal des Regierens vergessen.

Am Hof dieses Königs lebte auch ein Esel. Er sah, wie die kleinen Hunde von seinem Herrn sehr verwöhnt wurden, und er dachte: »Ich könnte auch vor den König hin treten, singen und ihm etwas vortanzen. Wenn ich meine Beine um seinen Hals legte, würde er mir gewiss auch die allerbesten Dinge zu fressen geben. Gewiss dürfte ich dann auch meinen Kopf in seinen Schoß zum Schlafen legen.«

Der Esel wartete nicht lange mit seinem Entschluss, schlüpfte aus seinem Stall heraus und trabte in die königliche Hofhalle. Er stellte sich vor den König hin und begann ganz verzückt zu singen und zu tanzen »IAA IAA IAA«. Dann sprang er zum Thron hin, auf dem gerade der König saß, und wollte just seine haarigen Beine um den Hals des erschrockenen Monarchen legen.

Der König und seine Diener glaubten nicht richtig zu sehen, und nahmen an, der Esel sei toll geworden. Die Diener des Königs rissen den Esel deshalb sofort zurück, versetzten ihm ein paar Prügel und jagten ihn wieder in seinen Stall hinaus.

Lehre: Quod licet Jovi, non licet bovi! (Was dem Jupiter erlaubt ist, ist einem Ochsen noch lange nicht erlaubt!)

Der verschmuste Esel · Gesta Romanorum · Fabel


Gelassenheit ist eine anmutige Form des Selbstbewusstseins.


Marie von Ebner-Eschenbach