Robin Goodfellow · Märchen aus England · Geister und Elfen
Einstmals, vor vielen, vielen Jahren, gab es zahlreiche freundliche Geister, die Elfen genannt wurden. Zu einer süßen Melodie tanzten sie auf grünen Hügeln wunderschöne Reigen. Manchmal waren sie unsichtbar, mitunter aber nahmen sie die verschiedensten Gestalten an.
Viele übermütige Streiche verübten sie; liederliche junge Dinger zwickten sie grün und blau, und in unordentlichen Häusern warfen sie alles durcheinander. Guten Mädchen waren sie jedoch sehr zugetan. Sie gaben ihnen Silber und hübsches Spielzeug, das sie ihnen in die Schuhe oder in die Tasche steckten, mitunter auch in blank geputzte Schüsseln oder in andere saubere Gefäße legten.
Zu dieser Zeit wurde in einem Haus, wo sich die Elfen besonders gern aufhielten, ein Junge geboren. Die Elfen, die ihre Freude darüber zeigen wollten, brachten viele Geschenke herbei. Decken und zartes Leinen für die Wiege, Kapaune, Schnepfen und Wachteln für den Taufschmaus.
Es ging dabei so lustig zu, dass der Pfarrer beinahe vergessen hätte, dem Kindchen seinen Namen zu geben – Robin Goodfellow, was soviel wie Robin Gutgesell heißt.
Als Robin sechs Jahre alt war, verübte er so viele Streiche, dass alle Nachbarn sich über ihn beklagten. Kaum kehrte ihm die Mutter den Rücken, schon hatte er etwas Neues ausgeheckt. Wollte sie Ärger vermeiden, musste sie ihn auf den Markt mitnehmen oder wohin sie sonst ging.
Das half jedoch nur wenig. Denn ging er vor ihr, zog er Gesichter oder schnitt Fratzen, sobald er jemandem begegnete. Ging er hinter ihr, schlug er mit der Hand auf alle möglichen Dinge.
Seiner Mutter waren die vielen Klagen, die gegen ihn vorgebracht wurden, recht lästig. Doch wusste sie nicht, ob sie ihn schlagen durfte, weil sie ihn nie etwas tun sah, wofür er wirklich Schläge verdient hätte. Aber täglich kamen neue Beschwerden, so dass sie ihm schließlich eine ordentliche Tracht Prügel androhte.
Diese Aussicht gefiel Robin ganz und gar nicht. Um der Strafe zu entgehen, lief er deshalb fort, und seine Mutter blieb alleine in Sorgen zurück.
Nachdem Robin einen guten Tagesmarsch hinter sich hatte, setzte er sich nieder und schlief ein. Da war es ihm, als sähe er viele reizende kleine Gestalten in possierlichen Schritten um sich herum tanzen. Er hörte auch eine liebliche Musik. Gewöhnlich aber währen solche Freuden nicht lange, und so endete auch diese schneller, als es Robin lieb war.
Er erwachte und fand neben sich eine Schriftrolle, in der mit goldenen Buchstaben die folgenden Zeilen geschrieben standen:
»Sag einen Wunsch, sogleich soll er erfüllt dir sein.
Werde zum Pferd, zum Hund, zum Affen oder zum Schwein.
Fügst Schaden du den Narren und den Schurken zu,
So denke dran, die Guten lass in Ruh!«
Als Robin das gelesen hatte, freute er sich sehr. Sogleich wollte er feststellen, ob er tatsächlich solch einen Zauber besaß. Er wünschte sich ein Fleischgericht herbei, und alsbald stand ein appetitlicher Kalbsbraten vor ihm. Dann wünschte er sich einen Plumpudding, den er auf der Stelle bekam.
Weil er müde war, wünschte er sich, in ein Pferd verwandelt zu werden. Kaum gedacht, wurde er schon zum stattlichsten Ross, das man sich nur vorstellen kann. Er sprang und galoppierte behände herum, als hätte er einen ganzen Monat im Stall an der Futterkrippe gestanden.
Dann wollte er ein schwarzer Hund sein, und gleich war er es, danach ein grüner Baum – eins nach dem anderen wünschte er sich, bis er ganz sicher war, dass er sich verwandeln konnte, in was immer er wollte.
Vergnügt setzte Robin seinen Weg fort und war begierig, seine neue Zaubermacht auszuprobieren. Als er über ein Feld ging, begegnete er einem rotgesichtigen Fuhrknecht. Er bat ihn, anzuhalten. »Freund«, sprach er, »was ist eine Uhr?«
»Etwas«, antwortete der Knecht, »das die Tageszeit angibt.«
»Gut denn«, sagte Robin, »sei du eine Uhr und sage mir, wie spät es jetzt ist.«
»Warum sollte ich dir eigentlich einen solchen Dienst erweisen?« erwiderte der Fuhrknecht. »Aber damit du mir recht dankbar bist, will ich dir sagen, dass es jetzt genauso spät ist wie gestern um dieselbe Zeit.«
Die Antwort ärgerte Robin, und er nahm sich vor, den Fuhrknecht dafür zu bestrafen. Darum verwandelte er sich in einen Vogel und folgte dem Burschen. Der begab sich auf eine Wiese, um sein Pferd einzufangen, das dort inzwischen weidete. Doch das Pferd war sehr wild, es setzte über Graben und Hecke hinweg und der Bursche ihm nach.
Augenblicklich nahm Robin die Gestalt des Pferdes an und blieb vor dem Knecht stehen. Der packte das Tier bei der Mähne und schwang sich auf seinen Rücken. Er war aber noch nicht weit geritten, als Robin strauchelte und den Reiter vornüber abwarf, so dass er sich beinahe das Genick gebrochen hätte. Dann ließ er den Fuhrknecht wieder aufsteigen.
Bald musste der Knecht einen breiten und ziemlich tiefen See durchqueren. Kaum war er bis zur Mitte gekommen, verwandelte sich Robin Goodfellow in einen Fisch und ließ den Burschen mit nichts weiter als dem Sattel zwischen den Beinen im Wasser zurück.
Der Fisch schwamm indessen ans Ufer, und dort war Robin wiederum der nichtsnutzige Junge. »Ho ho«, lachte er und lief davon. Der Fuhrknecht aber gelangte ganz durchnässt und mit Schmutz bedeckt ans Ufer.
Robin wanderte singend an einer grünen Hecke entlang und überlegte, was er als nächstes unternehmen sollte. Da sah er Rauch aus den Schornsteinen der nahe gelegenen Stadt aufsteigen, und er dachte bei sich: Was wäre es für ein Spaß, mit dem Besen über der Schulter durch die Straßen zu gehen und zu rufen: »Der Schornsteinfeger ist da!«
Gedacht, getan. Als ihn jedoch jemand herbei rief, lief Robin lachend davon. »Ho ho ho!« Auf seinem Weg sang er manch hübsches Liedchen, eins davon lautete:
»Schwarz bin ich von Kopf bis Fuß,
Das kommt nur vom Schornsteinruß.
Die Mädchen aber sind herzlich froh,
Denn das Feuer im Herd brennt nun lichterloh.«
In derselben Nacht klopfte er an viele Türen, und wenn die Dienstleute herauskamen, blies er ihnen die Kerze aus. Mit einem »Ho ho ho!« verschwand er in der dunklen Straße.
Oberon, der Elfenkönig, hatte beobachtet, was für Streiche Robin Goodfellow verübte. Und weil die Elfen Schabernack lieben, weckte er ihn aus dem Schlaf und rief ihm zu:
»Robin, mein Sohn, steh eilig auf
Und reibe dir die Augen aus.
Du musst mit mir noch heute Nacht
Ins Elfenland, eh die Sonn erwacht.«
Robin stand auf und folgte König Oberon. Viele Elfen in grünen Gewändern hießen den Jungen willkommen. Oberon nahm ihn bei der Hand und tanzte einen Reigen mit ihm.
Ein Musikant spielte auf einem wunderbaren Dudelsack, der war aus der Feder eines Zaunkönigs und der Haut einer Grönlandfliege gemacht und klang so durchdringend und süß, dass sich kein schottischer Dudelsack mit ihm vergleichen ließ.
Nachdem sie getanzt hatten, zogen sie, der Dudelsackpfeifer voran, ins Reich der Elfen. König Oberon zeigte Robin Goodfellow manches Geheimnis, das er der Welt bisher vorenthalten hat. Seit dieser Zeit lebt Robin im Elfenland.
Robin Goodfellow · Märchen aus England ⋆ Geister und Elfen
Eifer ist das Beruhigungsmittel für das Bewusstsein der Mittelmäßigkeit.
Henry Kissinger