Wesen der Rauschzustände · R.M.F · Alltagspsychologie
Nicht immer sind Maskerade und Rausch scharf voneinander zu trennen. Wenn wir die Maskerade als Abänderung der ICH-Vorstellung (sowohl in der Spiegelung in fremden Individuen als auch im eigenen Bewusstsein) bezeichnen, so wäre der Rausch als Steigerung des ICH-Gefühls zu beschreiben.
Aber wie in der Regel die Maskerade eine Änderung des ICH-Gefühls mit sich bringt, so wirkt der Rausch umbildend auf die ICH-Vorstellung ein, sei es auch nur, dass er ihre Grenzen völlig entschwinden lässt.
So kann es kommen, dass sich im Rausch Ausdrucksformen ausprägen, die von anderen als »Verstellung, Maske oder Komödie« aufgefasst werden; so kann aber umgekehrt auch der äußere Ausdruck, die Maske (schon das Gefühl, ungewöhlich gut angezogen zu sein), leichten Rausch erzeugen.
Als Rausch im engeren Sinn, im Gegensatz also zur Maskerade, wird nicht eine auf dem Umweg über äußeren Ausdruck und Symbolik zustande gekommene, sondern eine aus inneren Quellen stammende Veränderung des ICH-Bewusstseins bezeichnet.
Gewöhnlich denkt man beim Wort »Rausch« an die durch Alkohol, Äther, Haschisch oder andere Gifte hervorgerufenen Zustände; doch spricht man auch von Freuden-, Liebes- oder Jugendrausch. Psychologisch stellt sich der Rausch als Erregung des Organismus dar, dem psychisch eine Erregung des Affekt- und Geisteslebens parallel geht.
Tempo und Intensität des Seelenlebens scheinen gesteigert, meist ist alles in eitel Lustgefühl getaucht, Hemmungen treten zurück und Wünsche wie Vorstellungen fluten frei dahin. Durch all das ist eine Änderung des Persönlichkeitsbewusstseins bedingt.
Der Berauschte »kennt sich nicht mehr wieder«, er »fühlt sich über die Grenzen der Menschheit emporgehoben«, er ist »außer sich«. Besonders in den höchsten Zuständen des Rausches, der Ekstase (griechisch – Heraustreten), überfliegt das ICH gleichsam den Bannkreis seiner Persönlichkeit, es »schwindet die Fessel der Geburt«, es fühlt sich eins mit der ganzen Welt, ja als Gott.
Alle Erfahrung des sonstigen Lebens verblasst, ein neues ICH- und Welt-Bewusstsein, das mystische Welt-Einheitsgefühl, leuchtet auf. Höchst merkwürdige Tatbestände der Seele ohne Zweifel: von vielen als abnormal, krankhaft oder verderblich gescholten, von anderen als Höhepunkt des Lebens gepriesen, ja sogar als Sinn alles Seins!
Bezeichnend also ist für alle Rauschzustände erstens (im Gegensatz zur Maskerade) ihre innerer Ursprung, zweitens ein ICH-Gefühl, das jedoch nicht sich fremder Formen bedient, sondern eine Abwandlung des eigenen ICH-Bewusstseins oder das Auftreten eines ganz unpersönlichen Welt-ICH-Bewusstseins ist, und drittens der vorübergehende Charakter der Zustände.
Denn der Rausch in jeder Form ist nicht völlige Umwandlung (obwohl er auch dauernde Folgen nach sich ziehen kann), sondern er loht auf wie eine steile Flamme, verlodert aber bald, und das Ende ist vielfach ein aschgrauer Zustand der Seele, der als Katzenjammer oder Aschermittwochsstimmung bekannt ist.
Man stoße sich nicht daran, dass hier hohe und höchste Dinge, die Ekstasen der Kunst und der Religion, zusammengefasst werden mit niederen Erlebnissen wie dem Alkoholrausch.
So verschieden sie in den Ergebnissen und in ihrem inneren Wert sind, unter psychologischem Gesichtspunkt gehören sie zusammen, und es kann deshalb auch gar nicht verwundern, dass viele Religionen zum Beispiel den Wein als kultisches Mittel verwendet haben, wovon noch ein, freilich innerlich völlig umgebogener Nachklang in der Verwendung des Weins beim heiligen Abendmahl zu spüren ist.
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Autor: R.M.F
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Thomas A. Edison