Spuk in der Silvester-Nacht

Spuk in der Silvester-Nacht · Story zum Jahreswechsel Neujahr

Was denkt ein Mensch, wenn er allein ist in der Silvesternacht? Er schmiedet Pläne, fasst gute Vorsätze, kurzum: er will in Zukunft alles viel besser machen.

Gleichzeitig möchte er aber auch das Unangenehme hinter sich lassen, das ihm im vergangenen Jahr widerfahren ist. Und deshalb setzt er sich in seinen Sessel, öffnet eine Flasche Sekt und begrüßt das neue Jahr mit Optimismus und Vorfreude.

Prosit Neujahr! Auf ein neues! Er lauscht entspannt den Kirchenglocken, genießt das Feuerwerk am sternklaren Himmel und lässt die Seele baumeln.

Plötzlich läutet es an der Haustür, mitten in der Nacht. Was nun? Gewiss ist es ein freundlicher Nachbar, denke ich, greife nach meinem Sektglas und öffne die Tür. Prosit Neujahr, hatte ich auf den Lippen. Doch vor der Tür stand ein traurig blickendes Wesen.

Hallo, sagte dieses Wesen, lässt du mich hereinkommen?

Wer bis du? fragte ich. Was willst du von mir?

Ich bin das alte Jahr, bekam ich zur Antwort. Überall werde ich abgewiesen. Niemand will mich mehr haben. Alle sind froh, dass meine Zeit zu Ende ist. Aber irgendwo muss ich doch bleiben!

Du darfst hereinkommen!, sagte ich, aber nur unter einer Bedingung.

Und die wäre?

Du darfst keine Fragen stellen. Du darfst mich an nichts Unangenehmes erinnern. Vor allen Dingen darfst du mir keine Vorwürfe machen. Ich möchte nämlich nach vorne sehen und nicht zurück!

Darf ich den überhaupt mit dir reden?

Warum gerade mit mir? Es gibt doch tausend andere Menschen, mit denen du dich auseinandersetzen könntest. Warum besuchst du ausgerechnet mich?

Mir fielen die Worte ein, die du vor genau 365 Nächten gesagt hast.

Still! Keine Erinnerungen! rief ich barsch.

Du hattest mich damals doch herbeigesehnt, weißt du noch?

Sagtest du, herbeigesehnt?

Im neuen Jahr soll endlich alles besser werden, hattest du gerufen.

Ich hatte Vertrauen in dich gesetzt, erwiderte ich nachdenklich.

Warum?

Weil du damals neu warst, neu und frisch. Unbelastet von den Affären deines Vorgängers. Ich hatte geglaubt, dich formen zu können – nach meinem Willen.

Und?

Du hast mich enttäuscht. Du warst noch viel schlimmer als dein Vorgänger.

Wirklich?

Hör endlich auf zu heulen! Du hast nicht nur mich enttäuscht, sondern viele andere Menschen auch. Am Anfang hast du ihnen neues Spiel und neues Glück versprochen. Am Ende steckten alle nur noch tiefer im Sumpf. Willst du dafür auch noch gelobt werden?

Du machst mich unglücklich. Hat dir denn an mir rein gar nichts gefallen? Weder im Frühling, noch im Sommer, noch im Herbst, noch im Winter?

Lass mich nachdenken!

Na?

Immerhin bin ich gesund geblieben. Mein Körper hat es noch einmal geschafft.

Weiter?

Ich kann noch klar denken. Mein Verstand spielt auch noch mit.

Und?

Was und? Mehr fällt mir nicht ein.

War das denn nicht auch schon genug? fragte mein Gast. Ist das alles nicht ein guter Grund, dass wir jetzt miteinander anstoßen?

Bist du verrückt? Ich soll mit dem alten Jahr anstoßen?

Genau deshalb bin ich zu Dir gekommen.

Am nächsten Morgen erwachte ich im Sessel. Die ersten Sonnenstrahlen drangen durch die Vorhänge und erleuchteten den kleinen Tisch. Ich traute meinen Augen kaum, denn dort standen tatsächlich zwei Sektgläser, und beide waren benutzt.

Spuk in der Silvester-Nacht · Story zum Jahreswechsel Neujahr

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Spuk in der Silvester-Nacht · Story zum Jahreswechsel Neujahr - Was denkt ein Mensch, wenn er allein ist in der Neujahrsnacht?

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Autor: N. N.

Bewertung des Redakteurs:
4

Das Paradies ist kein Ort; Es ist ein Bewusstseinszustand.

Sri Chinmoy