Alltagspsychologie · AVENTIN.de · Himmel Treppe Kunst Wolken Blau

43 · Dauercharakter der Symbolik

Dauercharakter der Symbolik · Alltagspsychologie

Wir haben bisher die dingliche Symbolik auf die Ausdrucksgeste zurückgeführt: wir betonen jetzt nun das, was sie von der Ausdrucksgeste unterscheidet. Diese nämlich ist ein Geschehen, das aus dem Augenblick geboren wird und mit dem Augenblick entschwindet; ihr symbolischer Wert wurzelt im Momentanen, Vorübergehenden, Einmaligen.

Das dingliche Symbol hingegen dauert, es dauert auch dann an, wenn das Erleben, das es zum Symbol erhob, vorüber ist. Es besteht sogar weiter, wenn der Ich-Zustand, der sich darin ausdrückte, längst der Vergangenheit angehört. Daher sind alle dinglichen Symbole übermomentan, dauernd, ja lassen sich loslösen vom Ich, führen ein eigenes, vom Ich getrenntes Dasein, sie können sich dem Ich, dessen Seelenleben sie einmal symbolisierten, sogar entgegenstellen.

Das kann gewiss zu Maskerade, zu Heuchelei und zu Erstarrung führen, es hat jedoch auch positive Bedeutung. Indem die gegenständlichen Symbole dem Wandel des Seelenlebens enthoben sind, ist ihr Wert vielfach darin begründet, dass sie seelisches Leben auch dort noch äußerlich repräsentieren, wo der unmittelbare Ausdruck nicht ausreicht.

Jenseits aller momentanen Schwankungen und Wandlungen drücken sie den dauernden Lebenswillen des ICH aus. Was sie an individueller Bedeutung verlieren, gewinnen sie an überindividueller, sozialer Bedeutung. Der gegenständliche Ausdruck ist deshalb nicht einfach Verdoppelung des individuellen Ausdrucks, sondern, indem er vom individuellen-wandelbaren Ausdruck nur das betont, was dauernden, überindividuellen, sozialen Charakter hat, dient in hohem Grad dazu, das Leben zu vereinfachen, zu vereinheitlichen, zu verfestigen.

Da der symbolische Ausdruck weit mehr durch das Wollen und Denken zu kontrollieren und zu korrigieren ist als der unmittelbare mimische Ausdruck, so kann er weit stärker alles zur Schau stellen, was dem bewussten Willen des Menschen gemäß ist, kann zugleich aber auch alle die tausendfältigen Nuancen und Widersprüche, die sich in der Bewegungsmimik spiegeln, unterdrücken.

Die dingliche Symbolik ist wirklich bedeutsam nur, wenn sie einem Dauerzustand der Seele entspricht. Auch ihre Wirkung geht, da die Symbole als Raumdinge dem Zeitwandel nicht in gleicher Weise unterliegen, wie das wesentlich zeitliche Geschehen des mimischen Ausdrucks, auf lange Zeit und Dauer.

Gegenüber dem unablässig wechselnden, stets dem Augenblick entspringenden mimischen Ausdruck also pflegt die Symbolik mehr das Dauernde, Übermomentane, das mit dem bewussten Willen »Bejahte« unseres Wesens zur Schau zu stellen. Der Ausdruck ist daher gröber und derber, hebt aber darum auch oft gerade solche Züge heraus, die von anderen als wesentlich empfunden werden. Der symbolische Ausdruck ist daher von weit höherem Grad typisch als der mimische.

Folgende Beispiele mögen das illustrieren: In Mienenspiel und Haltung pflegt ein König nicht immer königlich zu sein, da kommen alle seine individuellen Schwankungen und Schwächen zutage. In der ihn umgebenden Symbolik dagegen ist er immer ein König, da kann er seinen Typus als Herrscher dauernd und allgemein wirksam zu Schau stellen.

Der inkognito reisende Monarch hingegen ist nur Individualität, das spezifisch Königliche verschwindet. Sitzt er hingegen in Hermelin und Purpur auf seinem Thron, umgeben von den Emblemen und Symbolen königlicher Macht, verschwindet das Individuelle, nur der Typus, das dauernd Gewollte tritt mit Macht in den Vordergrund.

So erhebt sich die Symbolik über den Fluss der Zeit, ja das Bewusstsein bedient sich der Symbole oft, nicht um dem Augenblick zu geben, was des Augenblicks ist, sondern um dem Augenblick Dauer zu leihen, um zum Augenblick zu sagen: »Verweile doch, du bist so schön!«

Die meisten Denkmäler, Erinnerungszeichen und Andenken sind Symbole eines Erlebens, das gerade, weil es nicht dauert, sich symbolisieren will, um, dem Fluss der Zeit zum Trotz, dennoch zu dauern. Sagt der mimische Ausdruck, was ist, so drückt das dingliche Symbol aus, was war, zugleich aber auch, sofern das im bewussten Willen lag, was künftig sein soll.

Als Denkmäler halten dingliche Symbole das Vergehende für die Zukunft fest, aber auch, wo kein Wille zum Festhalten des Vergangenen da war, geben dingliche Symbole Kunde von vergangenem Leben. Wir vermögen aus den Schutthaufen in vorgeschichtlichen Höhlen oft noch ein Bild aufzubauen von dem Leben, wie es vor Jahrtausenden war.

Dingliche Symbole sind oft das einzige, was von unserem Leben für künftige Zeiten erhalten bleibt, wenn unsere Gesten und Worte längst entschwunden sind.

Dauercharakter der Symbolik · Alltagspsychologie


Ein bis zum Stolz gehendes Selbstbewusstsein, wenn es recht gelenkt ist, kann ein sicheres Moralprinzip werden.


Berthold Auerbach