02 · Das Leben als Prinzip

Das Leben als Prinzip · Alltagspsychologie · Sinn des Lebens

Des Menschen Leben ist kein Chaos, und wir wären schlechte Führer für unseren wissbegierigen Gast, wenn wir ihm nichts zu bieten hätten als unser Nichtwissen in Bezug auf den letzten Zweck unseres Daseins.

Die Welt und das Menschenleben zu verstehen, kann nicht bloß heißen: sie aus einem Endzweck heraus, dem alles zustrebt, zu erklären. Nicht bloß aus seinem Zweck, nein, auch aus seinen Gründen können wir etwas verstehen, nicht bloß aus dem Wohin, auch aus dem Woher, selbst dann, wenn wir in dieser Richtung ebenfalls nicht zu den letzten Tiefen vorzudringen vermögen.

Diesen Weg des Verstehenwollens geht in der Tat seit langem die Wissenschaft, die ihren Stolz darein setzt, den Begriff des Zwecks als ein Irrlicht auszuschalten, und die nur nach Gründen forscht, nach einer Kausalformel für die tausenderlei Erscheinungen des Daseins.

Nie mehr fragt sie, zu welchem Zweck Blumen blühen und Tiere geboren werden und sterben, sie fragt nicht, zu welchem Zweck die Sonne leuchtet und die Erde sich dreht: sie stellt nur die Tatsachen fest und geht den Gründen nach, aus denen all das geworden sein mag und immer von neuem wird.

Eine zugleich bescheidenere und doch schwere Aufgabe, die dennoch so weit gelöst ist, dass uns die Welt nicht als Chaos, nicht als sinnloses Zufallsspiel erscheint, sondern als Gebilde einer gesetzlichen Ordnung.

Diese Methode ist es, die wir hier an das Leben der Menschen herantragen, indem wir beginnen mit dem, was ist, zu ergründen streben, was das Wesen des Menschen sei, und von hier aus zu verstehen suchen, ob all sein tausendfältiges Plagen und Jagen sich als gesetzlich geordnetes Geschehen begreifen lässt, ähnlich wie der Naturforscher die Welt der Pflanzen und Tiere zu begreifen sucht.

Wir wollen nicht mehr versprechen, als wir zu halten vermögen. Ob ein Kepler, der uns die krausen Wege der Menschenwelt berechenbar macht wie die Bahnen des Sternenhimmels, jemals erscheint, ist eine Frage der Hoffnung; und es wird wohl noch lange eine Hoffnung bleiben, dass sich je die Menschheitsgeschichte in eine Gleichung auflösen lässt wie ein mechanischer Prozess.

Nicht eine mathematische Formel werden wir bringen, aber wir hoffen doch, vielleicht eine begriffliche Formel zu finden, um die Vielheit der Erscheinungen unserer Welt zur Einheit zurückzuführen, ein Prinzip, das uns als Kompass zu dienen vermag in der Fülle der Erscheinungen.

Als solche Formel aber bietet sich uns der Begriff des »Lebens« an, ein Begriff, der noch keine bekannte Größe ist, den wir jedoch genauer zu bestimmen hoffen, indem wir seinen Auswirkungen nachgehen. Das ist unser Ziel: die Vielheit der Erscheinungen auf eine Einheit zurückzuführen, und diese Einheit, als die sich uns das »Leben« ergibt, aus ihren vielfältigen Auswirkungen zu verstehen.

Wir stehen mit diesem Versuch, im »Leben« das philosophische Weltprinzip zu sehen, einen Hauptschlüssel für viele verrammelte Pforten der Erkenntnis, nicht allein; wir bewegen uns damit in der stärksten philosophischen Strömung der Gegenwart, die – von älteren Vorläufern wie Empedokles, Aristoteles und in anderer Weise Leibniz – über Schopenhauer, Nietzsche, Ed. v. Hartmann, Bergson, Simmel u. Driesch zu den jüngsten Denkern hinführt.

So verschieden im einzelnen die Systeme dieser Denker begründet und durchgeführt sind, sie stimmen doch alle darin überein, dass nicht die tote Materie, das blinde Spiel ihrer Atome und Moleküle die Welt des Lebens zu erklären vermag, dass aber auch das Bewusstsein oder der Geist als Urgrund und Wesen des Seienden unserem kritischen Denken nicht genügen kann, dass wir dagegen ein Prinzip brauchen, das dem »Sein« auch in seinen unbewussten Formen gerecht wird und als dessen Sonderform man zugleich den Geist zu begreifen vermag, ein Prinzip, das wir als unser eigenstes Wesen in uns selbst am Werk spüren und das eben deshalb geeignet ist, auch als Erklärungsprinzip für die übrige Welt zu dienen.

Wir sagen nicht, dass sich alle Rätsel von diesem Begriff aus lösen lassen, er scheint uns nur, dass es die fruchtbarste Möglichkeit ist, die wir haben.

Das Leben aus dem Leben selbst erklären? Es erscheint sinnlos und wird doch verständlich, wenn wir es nennen, das Leben als gewirkte Mannigfaltigkeit aus dem Leben als wirkender Einheit zu deuten, einem Wirken, das »zweckfrei« und dennoch zielgerichtet aus unbekannten Tiefen aufsteigt und sich in seinen Wirkungen vor uns entfaltet, das wir sehen, wohin wir schauen in der Natur, und das wir fühlen, wenn wir in unser eigenes Innere hineinlauschen.

Wir gaben zu, dass nicht ein Zweck der Welt im Sinn eines deutlich vorbewussten Ziels auf diesem Weg aufleuchten wird. Wir werden das Leben als »zweckfrei« nehmen, aber darum nicht als Chaos, sondern als gerichtete Entwicklung, an deren Ende zwar kein vorherzufassendes Ziel steht, die aber unendlicher Möglichkeiten voll ist, Möglichkeiten, deren Träger auch wir – jeder von uns in seiner Weise – sind.

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Autor: R.M.F

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