Fuchs und Wolf am Brunnen · Jean de La Fontaine · Fabel
Es war eine klare Vollmondnacht. Ein Fuchs strolchte durchs Dorf und kam zu einem alten Ziehbrunnen.
Als er hinunter blickte, traute er seinen Augen nicht; da lag ein großer, runder goldgelber Käse. Er kniff die Augen zu und öffnete sie wieder. Nein, es war kein Traum.
Der Fuchs besann sich nicht lange, sprang in den Eimer, der über dem Brunnenrand schwebte, und abwärts ging die Fahrt. Ein zweiter Eimer schaukelte unterdessen aus der Tiefe empor an ihm vorbei.
Unten angekommen, wollte der hungrige Fuchs sich sofort auf den fetten Käse stürzen. Aber was war denn das? Seine Nase stieß in eiskaltes Wasser, der Käse verformte sich und verschwand.
Verblüfft starrte der Fuchs ins Dunkel, und langsam kehrte der Käse unversehrt zurück. Jetzt erst begriff er seinen Irrtum. Wie konnte er nur so schwachköpfig sein und so dumm handeln! Nun saß er in der Patsche.
Er schaute zum Brunnen hinauf. Niemand war da, der ihn aus dem Schlamassel befreien konnte. Nur der Vollmond lächelte ihm hell und freundlich vom Nachhimmel entgegen.
Viele Stunden saß der Fuchs so im kühlen, feuchten Eimer gefangen und schlotterte bereits vor Kälte und Hunger. Da kam ein Wolf am Brunnen vorbei. Der Fuchs dachte: »Warum sollte dieser große Nimmersatt klüger sein als ich?«
Und mit fröhlicher Stimme rief er ihm aus dem Brunnen zu: »Schau, mein lieber Freund, welch herrlichen Käseschmaus ich hier gefunden habe. Wenn du mein Versteck nicht verrätst, so darfst du zu mir herunterkommen und dir auch ein gutes Stück vom Käse abbrechen. Den Eimer dort oben habe ich für dich schon bereitgehalten, mit ihm kannst du zu mir herunterfahren.«
Der Wolf, der nie über Mangel an Hunger klagen konnte, leckte sich die Lippen, und seine Augen traten hervor; der Käse, den der Fuchs entdeckt hatte, sah wirklich appetitlich und groß aus. Ohne lange zu überlegen kletterte er in den Eimer, und da er viel schwerer war als der Fuchs, sauste er auch schnell hinab in die Tiefe und zog den Eimer mit dem Fuchs wieder hinauf.
Der Fuchs aber rettete sich sofort auf sicheren Boden und lachte sich eins ins Fäustchen. »Wohl bekomm’s!« rief er noch spöttisch dem Wolf zu und eilte schnell davon.
Lehre: Rette sich wer und wie er kann. Jeder Egoist ist sich selbst der Nächste.
Fuchs und Wolf am Brunnen · Jean de La Fontaine · Fabel · Egoismus
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Autor: Jean de la Fontaine
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Das Unbewusste ist gewissermaßen der Mutterboden, aus dem Bewusstsein wächst.
Carl Gustav Jung