Drache und Bauer · Fabel

Drache und Bauer · Fabel aus Europa · Versprechen Lohn Finte

Ein Drache wohnte in einem fließenden Gewässer, und einmal im Frühjahr, als das Wasser zu sehr wuchs, führte es den Drachen mit fort, bis es wieder abnahm. Als es dann ganz verlaufen war, blieb der Drache auf trockenem Land liegen, und er konnte nicht mehr weiter kommen.

Da kam ein Bauer des Weges mit seinem Esel und sprach zum Drachen: »Was ist denn mit dir los, Drache, warum liegst du so hier?«

Der Drache antwortete: »Als das Wasser wuchs, bin ich ihm gefolgt, und als es dann verlaufen war, hat es mich auf dem Trocknen sitzen gelassen. Nun aber kann ich nicht mehr ins Wasser kommen. Willst du mich aber vielleicht auf deinen Esel binden und mich wieder in meine Behausung bringen? Dafür sollst du von mir auch Gold und Silber empfangen.«

Der Bauer hatte Mitleid mit dem Drachen, band ihn auf seinen Esel und brachte ihn zu seiner Wohnung zurück.

Nachdem sie dort angekommen waren und der Bauer den Drachen vom Esel gehoben hatte, begehrte er seinen Lohn. Der Drache aber sprach: »Begehrst du wirklich Lohn dafür, dass du mich gebunden hast?«

Der Bauer sprach: »Du hast mich ja darum gebeten, dass ich dich auf meinen Esel binde!«

Der Drache aber sagte: »Und weil du mich so stark gebunden hast, will ich dich zum Lohne fressen, denn ich habe jetzt großen Hunger!«

Der Bauer antwortete ganz entsetzt: »So willst du mich jetzt belohnen und Gutes mit Üblem vergelten!?«

Als sie so zankten, kam ein Fuchs dazu, und als der Streit der beiden immer größer wurde, sprach der Fuchs zu ihnen: »Brüder, warum streitet ihr so miteinander?«

Der Drache antwortete: »Der Bauer hat mich ganz hart auf seinen Esel gebunden und mich hierher geführt.«

Der Mann entgegnete ganz entrüstet: »Höre mich an, lieber Fuchs! Der Drache ist von einem anschwellendem Wasser hinweg geschwemmt worden und zuletzt auf einer trockenen Sandbank liegen geblieben. Als ich vorüber kam, bat er mich, ihn auf meinen Esel zu binden und wieder in seine Behausung zu bringen. Dafür versprach er mir auch noch Gold und Silber! Nun will er mich aber – fressen!«

Da sprach der Fuchs: »Bauer, du hast wirklich töricht gehandelt, dass du ihn so fest gebunden hast. Darum zeige mir bitte noch einmal, wie du ihn gebunden hast! Dann will ich zwischen euch beiden richten!«

Der Bauer fing sogleich an, den Drachen wieder zu binden. Dann fragte der Fuchs den Drachen: »Hat dich der Bauer so gebunden?«

Der Drache antwortete: »Nein – nicht so leicht, er hat mich viel hundertmal härter gebunden!«

Da sprach der Fuchs zum Bauern: »Binde ihn noch härter!« Der Bauer, der sehr stark war, zurrte jetzt mit aller Kraft die Bänder fest.

Da sprach der Fuchs zum Drachen: »Hat er dich jetzt so hart gebunden?«

Der Drache antwortete: »Ja, Herr Fuchs, so hart hat er mich gebunden!«

Da sprach der Fuchs zum Bauern: »Nun – Bauer – jetzt verknüpfe die Endstücke der Bänder noch ganz sicher; leg den Drachen wieder auf den Esel und führe ihn dorthin zurück, wo du ihn gefunden hast! Dort aber lass ihn so gebunden liegen; so kann er dich nicht fressen!«

Der Bauer vollbrachte alles, wie der Fuchs ihm geraten hatte, und war zu seinem Glück den Drachen wieder los.

Lehre: Wo die Argumente nicht wirken, da hilft wohl nur eine Finte!

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Autor: Fabel aus Europa

Bewertung des Redakteurs:
4

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Johann Wolfgang von Goethe