Zur Weltgeschichte

Zur Weltgeschichte · Hermann Hesse · Gedanken · Essay

Wir sehen die Weltgeschichte, das heißt die Geschichte unseres Weltalters, in hypertrophischen Staaten-Gebilden und sinnlosen Materialschlachten vergehen.

Wie sehen sie in der Ausrottung unzähliger Tier- und Pflanzenarten, dem Hinwelken des Schönen und Wohltuenden im Bild der Städte und Länder, im Gestank der Fabriken, dem Erkranken der Gewässer, und nicht minder im Erkranken und Hinwelken der Sprachen, der Werte, der Worte, der Denk- und Glaubenssysteme dahin siechen.

Und dass diesem still und rasch sich beschleunigenden Zerfall eine blendende Hochentwicklung der technischen Intelligenz und Leistung gegenübersteht, dass wir uns von der Zentrifuge unseres mechanisierten Daseins bereits in den Weltraum schleudern lassen können, das scheint mehr den Massen als den Denkenden ein Trost zu sein.

In Europa sitzen wir auf den schönen Trümmern unserer abendländischen Kultur vermutlich als eine der letzten Generationen. Was in Asien und Afrika sich, zum großen Teil durch unsere eigene Schuld, angestaut hat und wie ein Bergrutsch oder eine Völkerwanderung gegen uns unterwegs ist, davor wird nichts uns retten können.

Deutschlands Stellung in der Welt sehe ich rein psychologisch an und interessiere mich namentlich mit einem gewissen Grauen für die fabelhafte deutsche Fähigkeit zur »Verdrängung« und zum gläubigen Hinnehmen ideologischer Ideen.

Die Fähigkeit, aus dem Unsinnigsten und Furchtbarsten eine Religion zu machen, ist bei uns groß.

Heutzutage muss man schon dankbar sein, wenn der Mitmensch einem nicht einfach im Namen seiner Weltanschauung und zur Neuordnung Europas das Leben oder das Portemonnaie wegnimmt.

Die meisten Menschen haben ja gar keine persönlichen Gesinnungen, sondern die ihrer Kaste. Sowohl Kapitalisten wie Sozialisten oder andere sind zu 99 Prozent Anhänger von Meinungen, zu deren Nachprüfung ihr eigener Geist nicht ausreicht.

Ich lehne Programme und fertig formulierte »Gesinnungen« nur deshalb ab, weil sie die Menschen unendlich verarmen und verdummen!

Ich sehe nur noch mit Erstaunen, nicht mehr mit eigentlichem Verstehenwollen, zu, wie sich die kindischsten, ja viehischsten politischen Triebe als »Weltanschauungen« etc. präsentieren, ja die Gebärden von Religionen annehmen.

Diese Systeme haben mit dem Marxistischen Sozialismus gemein, dass sie die Menschen für nahezu unbegrenzt politisierbar halten, was sie nicht sind. Die Kämpfe der heutigen Welt halte ich größtenteils für eine Folge dieses Irrtums.

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Autor: Hermann Hesse

Bewertung des Redakteurs:
5

Ich bin viel zu selbstbewusst, um überheblich zu sein.

Peter Hohl