Masken und Maskerade

Masken und Maskerade · R.M.F · Alltagspsychologie

Wir beginnen mit der Maskerade! Eine Maske schafft sich das ICH, indem es sich einen Ausdruck gibt, der seinem natürlichen Wesen nicht entspricht.

Meist denkt man bei dem Begriff »Maske« zunächst an Kleidung, und in der Tat ist dieses Ausdrucksmittel am leichtesten zu vertauschen. Man maskiert sich, indem man eine Larve vors Gesicht nimmt und sich in ein ICH-fremdes Gewand steckt.

Natürlich ist solche Maskerade nur in besonderen Situationen möglich. Eine bessere Maske ist es, wenn es gelingt, den natürlichen Gesichtsausdruck so umzustellen, dass er zu täuschen vermag. Wenn der Schauspieler von »Maske« spricht, so denkt er vor allem an diese mimisch-physiognomische Art der Maskerade.

Aber auch die gesamte dingliche Symbolik des Lebens kann Maske werden; wenn ein Parvenu in ein Grafenschloss zieht, wenn er seine Räume mit einer wertvollen Bibliothek, die er nie liest, oder mit Bildern, die er nicht versteht, ausstaffiert, so ist auch das Maskerade.

Ja, die Freunde, die einer sucht, die Frau, die er heiratet, selbst die Feinde, die er bekämpft, sind oft nur Maske, eine Fassade, durch die er die Umwelt und sich selbst über sein wahres ICH zu täuschen strebt.

Warum das alles? Wir müssen tief hinabsteigen in die Welt des Lebens, um die seelische Verwurzelung der Maskerade zu erfassen; denn nicht der Mensch allein, auch Tiere, ja Pflanzen maskieren sich, und nicht etwa zu ästhetischem Spiel, sondern aus vitalen Notwendigkeiten heraus.

Ja, alle Urtriebe des Lebens verlangen gelegentlich Masken, die je nachdem Schutzmasken, Lockmasken, Schreckmasken oder Angleichungsmasken sind. Nicht das Bewusstsein hat die Maske erfunden, sie besteht schon auf Lebensstufen, wo wir kein Bewusstsein annehmen dürfen.

Nur ein paar Beispiele zur Illustration! Ein Schutzmaske der Pflanze ist es, wenn sie, um der Gefräßigkeit der Tierwelt zu entgehen, Formen annimmt, die sie Gesteinstrümmern, mit Flechten bewachsenen Felsen, Vogelexkrementen ähnlich sehen lässt.

Oder die Pflanzen nehmen Formen an, die sie durch Stacheln oder Gifte geschützten Gewächsen zum Verwechseln ähnlich sehen. So schmarotzt in Australien auf der Akazie eine Loranthusart (Loranthus Quandang), die von Kamelen gern gefressen wird, wenn man sie ihnen gesondert darbietet, die jedoch ob ihrer Ähnlichkeit in Größe, Farbe und Gestalt ihrer Blätter von der durch ihre Stacheln gefährlichen Wirtspflanze nicht unterschieden wird, solange sie auf dieser sitzt.

Inwieweit eine Zweckstrebigkeit hier mitspielt, bleibt außer Frage. Jedenfalls haben solche Masken für die Pflanzen beträchtlichen Nutzen, und wir bezeichnen sie daher als »Nutzmasken“.

Deutlicher noch tritt die Maskerade im Tierleben auf, obwohl, soweit wir es beurteilen können, es sich auch hier fast ausschließlich um Nutzmasken handelt.

Im Dienst der Sicherheit stehen die mannigfachen Schutzmasken, die das Tier grünen oder dürren Blättern, dem Erdboden, verwittertem Holz, Flechten usw. ähnlich machen. Man kennt solche Schutzmasken besonders bei Schmetterlingen, Heuschrecken, aber auch bei höheren Tierarten.

Wirken diese Masken als Mittel des Versteckens, so gibt es jedoch auch »Warnmasken«, das heißt sehr grelle Kennzeichen, die gefährliche und besonders giftige Tiere stark hervorhebt und die von harmlosen Tieren nachgeahmt wird.

So pflegen viele Giftschlangen sich vor dem Biss zusammenzurollen und sich aufzurichten; das machen ihnen manche ungiftigen Schlangen nach und gewinnen dadurch Schutz vor ihren Feinden. Das ist bereits ein Übergang zur Schreckmaske, das heißt der merkwürdigen Gestaltveränderung, die manche Tiere annehmen, um Feinde zurückzuscheuchen.

Höchst merkwürdig sind auch die »Gesellungsmasken«, die eigentümlich uniformierende Anpassung im Aussehen, die zusammenlebende Tiere verschiedener Gattung annehmen. Man hat das besonders bei den »Gästen« in Ameisenbauten beobachtet; je nachdem die Ameisenart gut oder schlecht sieht, wird die Anpassung für den Gefühls- oder den Tastsinn vorgenommen.

So hat der bekannte Ameisenforscher Wasmann den Käfer Mimeciton pulex W. studiert, der genau wie eine Ameise aussieht. Die Gäste der Eciton-arten sind in ihrem äußeren Körperumriss den Wirten so ähnlich, dass sie bei der Untersuchung durch den Tastsinn einen fast gleichen Eindruck hervorrufen.

Wir haben es hier ähnlich mit den Masken des Menschen zu tun, und zwar solchen, die mit Bewusstsein gesucht werden. Auch sie treten zunächst als Zweckmasken auf, indem man sich zur Erreichung bestimmter Zwecke eines Ausdrucks oder einer Symbolik bedient, die jenem Zweck gemäß sind.

So hüllt sich auch der flüchtige König in das Kleid eines Bettlers, weil dessen unscheinbare Gewandung ihn seinen Feinden entzieht; der Hochstapler tritt in Haltung und Kleidung des reichen Mannes auf, um Ehre und Gewinn einzuheimsen, die das durch das Äußere irregeführte Publikum dem Träger des vornehmen Rockes spendet. Der Spion im Krieg nimmt die Uniform der feindlichen Armee an, um sich in deren Reihen zu schleichen und dort zu schaden.

Weit interessanter als solche Nutzmaskeraden sind jene, die nicht zu äußeren Zwecken getragen werden, in denen das Individuum nicht nur andere, sondern sich selber mit täuschen will. Eine solche Maskerade wurzelt in einer Spaltung des ICH, in dem neben einer dominierenden Lebensform zugleich eine Unzufriedenheit damit, ein Streben also, jene zu überwinden, lebt.

Da dieses Streben nach Anderssein sich nicht in Wirklichkeit durchzusetzen vermag, so versucht es das auf dem Umweg über die Täuschung, indem es den Ausdruck und die Symbolik der erstrebten Lebensform wenigsten äußerlich zu übernehmen versucht.

Man »spielt« jenes andere Leben, das man nicht in Wirklichkeit zu leben vermag. Der typischste Fall ist der, dass ein »Entbehrungsaffekt« sich selbst durch äußere Mittel in den Erfüllungsaffekt hineinzuspielen versucht. Der arme Habsüchtige mimt den reichen Mann, der erfolglose Ehrgeizige tritt mit den Gesten und dem Gehaben des »Réussierten« auf, die verschmähte Erotikerin gefällt sich in Kleidung und Betragen der viel umworbenen Kokette.

In all diesen Fällen sind es äußere Lebensverhältnisse, die einen Konflikt zwischen Wirklichkeit und Wunsch hervorrufen. Das Bewusstsein sehnt sich in eine andere ICH-Rolle hinein und mimt dann deren Ausdruck, oder es mimt erst den Ausdruck, um sich mit dessen Hilfe in die erwünschte ICH-Rolle hinein zu träumen und hinein zu spielen.

Das Ganze ist so verbreitet, dass man sagen kann, irgendwie und -wo trägt jeder Mensch eine Maske. Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug, heißt es bei einem modernen Dichter.

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Autor: R.M.F

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4

Um das Göttliche kennenzulernen, muss man es aus sich zum Bewusstsein bringen.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel