Instanzen des Außenbewusstseins · R.M.F · Alltagspsychologie
Wenden wir uns vom Innenbewusstsein, diesem halbdunklen Raum, in dem die Urtriebe des Menschen wie die Schicksalsgöttinnen nebeneinander sitzen und bald in Verbindung, bald im Streit die Drähte ziehen, die das Handeln des Menschen in Bewegung setzen, wenden wir uns von diesem Innendienst der Seele zu ihrem Außendienst, zu jenen Instanzen, die die Einwirkungen der Außenwelt aufnehmen und gemäß den Anforderungen des Innendienstes an diesen weiterleiten.
Hier finden wir ebenso sieben seelische Funktionen, die jedoch nicht wie die Triebe einander neben geordnet sind, sondern gleichsam sieben hintereinander geordnete Instanzen darstellen, in denen das von außen gelieferte Material in jeweils verschiedener Art und Gradabstufung verarbeitet wird.
Die von der Außenwelt auf die Seele eindringenden Reize werden zunächst als Rohmaterial aufgenommen, in verschiedener Weise kombiniert, gleichsam in die Registratur gebracht, klassifiziert und zuletzt zu völliger Neuschöpfung umgegossen.
Allerdings nicht alle Eindrücke passieren sämtliche dieser Instanzen, viele werden bereits in der Form, die sie in einer der ersten erhalten haben, vom Innendienst der Seele übernommen; aber irgendwie pflegt doch auch die eine oder andere von den späteren Instanzen von ihnen Notiz zu nehmen.
Instanzen des Geistes:
In vorläufiger Übersicht will ich die sieben Instanzen des »Geistes«, als des Inbegriffs des »objektiven Bewusstseins«, bezeichnen als:
die Sinnesempfingung
die Wahrnehmung
die Raum- und Zeiteinordnung
die Reproduktion (Gedächtnis)
die Fantasie
die Abstraktion (Begriffsbildung)
das produktive Denken.
Die äußersten Außenwerke des Ich, die Tore, durch die die Welt an es herangelangt, sind die Sinne. Und zwar haben wir deren nicht nur fünf, wie das Volk meint; wir haben außer Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Getast auch noch den Temperatursinn, ferner den statischen oder Gleichgewichtssinn, der ein besonderes Organ, den Otolithen, am Ohr hat, und den kinästhetischen Sinn, der uns über die Bewegungen unseres eigenen Körpers unterrichtet.
Manche nehmen daneben noch einen eigenen innerkörperlichen »Gemeinsinn« an, doch brauchen wir diese Streitfrage hier nicht zu lösen. Hauptsache ist die Erkenntnis, dass unablässig an all diese Eingangstore die Reize pochen, dass jedoch nur wenige davon eingelassen werden; nur die, die irgendein Interesse für das Ich haben, irgendeinen Trieb zu erregen vermögen.
Dieses Auswählen unter den vielen möglichen Reizen nennen wir die Aufmerksamkeit, die ins Bewusstsein eingelassenen Reize heißen Empfindungen.
Natürlich sind diese Empfindungen nur Rohmaterial, das als solches selten ins Zentrum gelangt, sondern vorher schon mannigfach umgestaltet wird. Wir erleben in der Regel nicht »grün und blau«, also reine Empfindungen, sondern wir sehen »Baum« oder »Himmel«, das heißt Komplexe, bei denen mit den reinen Empfindungen bereits allerlei zentrale Faktoren verschmelzen.
Diese Verschmelzungskomplexe heißen uns »Wahrnehmungen«, die sich meist auf Gegenstände der Außenwelt beziehen. Wir nehmen jedoch die Wahrnehmungen selten isoliert auf, sondern stets in einem breiten Rahmen von anderen, blasseren Wahrnehmungen und Vorstellungen, in den sie eingefügt sind.
Dieser Rahmen, der zugleich ein Ordnungssystem ist, heißt uns »Raum- und Zeitanschauung«, und fast alle unsere Erlebnisse müssen sich in ihn eingliedern.
Wir vermögen Empfindungen und Wahrnehmungen auch dann, wenn kein äußerer Reiz unsere Sinne berührt, im Bewusstsein wieder zu beleben. Sie tauchen dann wie blassere, rasch vorüberhuschende Schatten auf der Bewusstseinsbühne auf und heißen »Reproduktionen, Vorstellungen und Erinnerungen«. Sie erscheinen selten einzeln, sondern in Reihen, die nach gewissen Regeln, besonders solchen der Ähnlichkeit und Berührung, verbunden sind.
Diese Regeln nennt man »Verknüpfungs- oder Assoziationsregeln«. Die Summe der möglichen Vorstellungen, zugleich die Fähigkeit, sie heraufzubeschwören, nennt man »Gedächtnis«.
Diese Vorstellungen tauchen jedoch nicht immer in der Reihenfolge und in der Gestalt auf, die sie ursprünglich hatten, sondern sind höchst wandelbar, lassen sich neu kombinieren und umbilden.
In dieser Gestalt heißen sie »Fantasievorstellungen«, die Fähigkeit dazu heißt die »Fantasie«, die zwar ihr Material aus Wahrnehmung und Gedächtnis entnimmt, aber souverän damit umspringt.
Eine Art der Verarbeitung jedoch ist besonders wichtig. Sie presst aus der bunten Fülle der Wahrnehmungen und Vorstellungen nur das vielen ähnlichen Fällen Gemeinsame heraus, sie schafft Schemata, die nur das Wesentliche aus der farbigen Mannigfaltigkeit des Erlebens festhalten und meist an Worte geknüpft sind.
Diese Schemata nennen wir »Begriffe oder Gedanken«, die Fähigkeit, sie zu bilden, heißt »Abstraktion«, ihre sinnvolle Fügung »Denken«.
Kraft dieser sieben Instanzen baut sich in uns ein Bild der Welt (im Sinne einer freien Schöpfung) in unserem Geist auf: durch sie empfangen wir Zeichen von unserer Umwelt, wir gliedern sie zu Dingen und Geschehnissen, wir ordnen sie in Raum und Zeit, wir erweitern sie durch Vorstellungen in die Vergangenheit und die Zukunft hinaus, wir fassen sie zu Begriffen zusammen, ja wir gestalten sie schöpferisch um, wie unser Wille es fordert.
All dies Vorstellen und Gestalten ist jedoch von Natur aus niemals Selbstzweck, dienen nicht etwa reiner Erkenntnis, sondern stehen im Dienst des Willens zum Leben, auch dort noch, wo dieser auf reine Erkenntnis, das heißt eine Erkenntnis ohne unmittelbare praktische Bedeutung gerichtet ist.
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Autor: R.M.F
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Schlaf ist die beste Meditation.
Dalai Lama