Ausspannen · Christine Nöstlinger

Ausspannen · Christine Nöstlinger · Ruhe Erholung Arbeit Stress

»Ausspannen und abschalten sollten Sie einmal ein paar Tage!«

Diesen Rat gibt man gern denen, die überlastet, überarbeitet und gestresst wirken. Der Rat ist ja wahrlich ein guter, nur fruchtet er leider meistens kaum, denn nichts im Leben fällt manchen Leuten schwerer als geruhsame Untätigkeit.

Sie sind ans »Eingespanntsein« so gewöhnt wie ein alter Droschkengaul, sie sind so eingeschaltet wie ein zwölfflammiger Lüster und haben keinen Kippschalter zum Abdrehen.

Ich weiß, wovon ich rede, denn ich gehöre auch zu dieser Sorte von Menschen. Nichts wünsche ich mir sehnlicher, als eine Woche lang einfach gar nichts tun zu müssen. Doch kommt dann alle paar Jahre einmal tatsächlich so eine Woche, dann bin ich ratlos und verwirrt.

Diese raren Wochen können mir natürlich nur in der Fremde zustoßen, denn daheim finden sich Leute wie ich, wenn sie der Berufsarbeit entsagen, schnell eine berufsfremde Arbeit, die sie schuften lässt wie Stachanow.

Eine alte Kredenz abbeizen etwa, alle Fenster streichen, die Möbel umstellen, den Dachboden entrümpeln, einen Blazer schneidern oder andere ungeheuer lebenswichtige Beschäftigungen.

Und der schöne Stress, diese Arbeit in der arbeitsfreien Zeit zu schaffen, ist gegeben.

In ferner Fremde jedoch bleiben einem derartige tagesfüllende Tätigkeiten verschlossen, und dann hockt man, sei es am Strand, sei es auf der Wiese, sei es in der Hotelbar, und tut unheimlich locker und entspannt, ganz so, als sei man beglückt sich einfach so dem Nichtstun hinzugegeben.

Aber tief drinnen in einem, da ist alles angespannt und irgendwas vibriert und liegt auf der Lauer. Und klingelt dann das Telefon auf der Theke der Hotelbar, zuckt man zusammen und fühlt sich betroffen.

Dass einen hier das Telefongeklingel gar nichts angeht, dass hier absolut keiner etwas von einem will, muss man erst lernen. Es lässt sich natürlich lernen.

Am vierten Ausspanntag irritiert die Telefonklingel nicht mehr, am fünften schafft man es schon, in der Sonne zu dösen, ohne an zukünftige oder vergangene Berufsarbeit zu denken.

Am sechsten gelingt einem schon ein dreistündiger Mittagsschlaf, und am siebenten hätte man das Ausspannen und Abschalten kapiert. Aber da muss man dann leider schon wieder abreisen.

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Autor: Christine Nöstlinger

Bewertung des Redakteurs:
4

Das, was du bist, zeigt sich an dem, was du tust.

Thomas A. Edison