Ausdrucksorgane der Seele

Ausdrucksorgane der Seele · R.M.F · Alltagspsychologie

Über die Art, wie die Bewegungen des Körpers seelisch verstanden werden, werden wir später sprechen. Zunächst nur ein paar Worte über die Bewegungen, in denen die Seele sich am deutlichsten äußert.

Diese Bewegungen sind nur zum Teil dem Willen unterstellt, und die es sind, lügen oft, auch wenn das Ich die Wahrheit kundgeben will.

Aber die Seele spricht nicht bloß mit der Zunge, und sie offenbart sich nicht bloß in den Taten, die wir bewusst ausführen. Wir sprechen immer unsere Seele aus, auch wenn wir stumm sind, und wir bewegen uns, auch wenn wir die Hände tatenlos in den Schoß legen.

Und auch wenn wir fremden Augen unbewegt schienen wie eine Marmorsäule, so schwingt doch die Seele im Schlag unseres Herzen und im Gang unseres Atems mit.

Wo das Auge nicht ausreicht, vermögen Sphygmograph und andere Apparate der psychologischen Institute solche Bewegungen in Kurven aufzuzeichnen, und man würde staunen über die unendliche Mannigfaltigkeit der auf diese Weise entstehenden Linien.

Vielleicht lohnt es sich ein wenig, diesen kaum beachteten Bewegungen, die sie hervorbringen, also die Organe der Seele, als solche zu betrachten.

Zunächst ist der Körper in seiner Gesamtheit Organ der Seele. In der gesamten Körperhaltung redet die Seele, in der Art, wie er sich im Gleichgewicht hält, wie er den Kopf trägt, wie er sich vorwärts und rückwärts beugt.

Der stolz empor gereckte Körper offenbart eine andere Stimmung der Seele als der geknickte und der zurückweichende eine andere als der weit vorgebogene.

Man studiere die Statuen der Bildner und die Gestalten eines Rembrandt oder eines Hodler, die bequemere Objekte sind als lebendige Menschen, und man wird staunen über die Fülle der Ausdrucksmöglichkeiten, die in der Senkung einer Nackenlinie oder der Haltung der Schultern liegen kann.

Freilich lösen wir damit bereits einzelne Organe aus dem Gesamtorganismus heraus, obwohl jede Einzelbewegung streng genommen nur innerhalb der Ganzheit des Körpers eindeutig verständlich ist. Immerhin gibt es Einzelorgane, die auch gesondert die Seele offenbaren.

Zunächst ist die Haut ein unendlich feines Organ, das jede Regung der Seele anzeigt wie die Nadel des Aneroidbarometers jede Schwankung des Luftdrucks. Natürlich ist die Haut nur die Außenfläche, die die Bewegungen der inneren Organe verrät, und wir müssen daher von diesen mitreden, wenn wir von der Haut sprechen.

Die Röte oder Blässe der Haut nämlich, ihre Wärme oder Kühle künden von den Bewegungen des Herzens und dem Kreislauf des Blutes, die unablässig sich wandeln und die wiederum mit dem Rhythmus der Atmung aufs engste zusammenhängen. Sie künden auch von den Bewegungen des Magens und der Eingeweide, die ebenfalls teilnehmen an den Regungen der Seele.

Nur Toren, die nicht wissen, welch göttliche Wunderwerke diese angeblich ‘niederen’ Organe sind, schütteln den Kopf darüber. Goethes Harfner scheute sich nicht, die Qual seiner Sehnsucht im Brennen der Eingeweide wieder zu erkennen, und Voltaires Witz, dass alle Leiden des Herzens aus dem Magen stammten, ist auch nicht wortwörtlich zu nehmen.

Dennoch, ein Zusammenhang des Magens mit der Seele besteht unfehlbar, was sogar experimentell zu erweisen ist, insofern man die Stimmungen der Seele auf dem Weg über den Magen erheblich beeinflussen kann. Eine Erkenntnis, die ihren volkstümlichen Niederschlag in Sätzen wie dem gefunden hat, dass, wer Sorgen hat, auch Likör habe und ähnlichem.

Mögen die Bewegungen der inneren Organe äußerlich nicht direkt wahrnehmbar sein, indirekt wirken sie doch nach außen, vor allem, wie wir sahen, durch die Haut, die Blutzirkulation und die unter der Haut spielende Muskulatur, die zum Beispiel bei Furcht die bekannte Gänsehaut erzeugt, die Haare sich sträuben oder die Stirn sich zusammen ziehen lässt.

Weit mehr beachtet werden in der Regel die Bewegungen der äußeren Glieder, der Arme und Beine vor allem, weil diese Bewegungen gröber sind. Aber sie sind gröber auch in dem Sinn, dass sie weniger untrüglich sind, weil der bewusste Wille sie leichter abändern kann als das Erröten oder die Gänsehaut.

Das wiederum rührt daher, dass jene Glieder weniger unmittelbar als die inneren Organe mit der Seele verbunden, also ‘äußerlicher’ sind.

Weit feiner dagegen spiegelt sich das Leben der Seele im Gesicht und da vor allem in den Bewegungen der Stirnhaut, des Auges und des Mundes. Es ist mehr als Gleichnisrede, wenn wir sagen, dem Menschen sei der Charakter »an die Stirn geschrieben«. Immerhin gehört der Ausdruck der Stirn zu dem der Haut im allgemeinen.

Durchaus eigenen Ausdruck dagegen entwickeln Auge und Mund. Auch das weiß die Menschenkenntnis des Alltags, dass das Auge das Fenster der Seele ist, weniger noch das Auge als solches, als das bewegte Auge: der BLICK.

Man erwäge nur, welche Beiworte die Sprache, besonders die Sprache der Dichter, dem Blick verleiht, und man wird darin alle Stimmungen der Seele wiederklingen hören. Man redet vom offenen, versteckten, lauernden, suchenden, gierigen, sanften, gütigen, feindlichen, entzückten, verliebten, verstockten, müden Blick, und damit ist nur ein Teil der Möglichkeiten erschöpft.

Kaum minder spiegelt der Mund die Stimmungen der Seele. Zwar ist die Zunge mit Recht verschrien, dass sie eine Lügnerin sei, und die Worte sind, nach Talleyrands bekanntem Ausspruch, dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verstecken. Aber die Lippen, und was sie von den Zähnen sehen lassen, reden die Wahrheit, selbst wenn die Zunge Falschheit tönt.

Besonders im Lächeln offenbart sich die Seele, und was wir an seelendeutenden Beiwörtern dem Blick geben, lässt alles sich auf das Lächeln übertragen.

Kurz, der Leib ist ein wunderfeines Medium der Seele, darin sie sich »materialisiert«, unendlich viel reicher, feiner und tiefer als in den Wachsabdrücken oder Geisterfotografien spiritistischer Toren.

Wir alle sind Medien der Seele, und es ist kein Haar auf unserem Haupt, dass nicht gelegentlich Ausdruck der Seele würde.

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Autor: R.M.F

Bewertung des Redakteurs:
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Schlaf ist die beste Meditation.

Dalai Lama