05 · Kalenderblatt Mai · Stundenbuch Königin Anna von Bretagne
Und kommt der sonnige Mai, dann holen die Mädchen den Festschmuck aus der Lade und winden Kränze für ihr Haar und das ihres Freundes. So ziehen sie bekränzt und mit Bändern geschmückt, den Handspiegel als Zierrat an der Seite, mit ihren Gespielen auf den Anger, wohl hundert Mädchen und Frauen sind dort zum Reihen versammelt.
Dorthin eilen auch die Männer, zierlich ist ihre Tracht, das Wams mit bunten Knöpfen besetzt, vielleicht sogar mit Schellen, welche eine Zeit lang der anspruchsvolle Schmuck der Vornehmen waren.
Die stolzen Knaben sind voll Freude am Kampf, herausfordernd, jeder eifersüchtig auf seine Geltung.
Mit Leidenschaft werden die großen Reihen getanzt, kühn sind die Sprünge, voll Jubel die Freude, überall die Poesie einer fröhlichen Sinnlichkeit. Laut singt der Chor der Umstehenden den Text des Reihens, leise singt das Mädchen die Weise mit.
Es ist eine Grazie nicht nur in der Sprache, auch in den menschlichen Verhältnissen, die viel mehr an die antike Welt erinnert als an die Empfindung unserer Landsleute.
So schildert Gustav Freytag ein ländliches Maifest des deutschen Mittelalters. Nicht anders mag es sich unter dem Maibaum unseres Bildes abgespielt haben, welches Jean Bourdichon (1457-1521), Hofmaler dreier Könige von Frankreich, für das berühmte Gebetbuch der Königin Anna von Bretagne geschaffen hat.
Kalenderblatt Mai · Stundenbuch Königin Anna von Bretagne
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Autor: N. N.
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Erich Kästner