Einfachheit · Kurt Tucholsky

Einfachheit · Kurt Tucholsky · Bildung

Das wollen wir uns immer wieder klar machen: Terminologie ist noch gar nichts.

Da ist nun die Formalbildung in die Breite, also nicht in die Tiefe, gegangen, und: »funktionell« – »kulturphysiologisch« – »physiopsychologisch« – »Komplex« – das können sie nun alle. Aber ist damit etwas ausgesagt?

Die Deutschen haben zwei große Grundgesetze entdeckt, und zwei sehr bequeme dazu: sie glauben, eine Sache damit entschuldigt zu haben, dass sie ihren technischen Hergang erklären – und sie halten es für bedeutend, wenn sie eine Binsenwahrheit in das Vokabularium ihrer eingelernten Fachwörter einspannen. Aber es ist nicht viel damit.

Mitunter lässt sich das nicht vermeiden – mitunter bringt es einen weiter.

Aber seit jeder Esel mit ein paar angelesenen Philosophie-Brocken herum jongliert, dass einem ganz angst und bange wird, hat das aufgehört: es ist einfach trivial geworden, platt, alltäglich, nichtssagend und völlig leer.

Zur Zeit wird getragen: Soziologie (ganz fürchterlich), Individual-Psychologie, Musik-Philosophie und bei den ganz Feinen: Erkenntniskritik.

Oft habe ich mir die unnütze Mühe gemacht, diesen Kram ins Deutsche zu übertragen – es kam fast immer dabei heraus: »Ignoramus« oder: »a = a«.

Auch hießen diese Wortkaskaden, wenn man sie hatte von sich abrauschen lassen: »Aufgeregte Menschen denken nicht so logisch wie ruhige« oder ähnliche epochemachende Weisheiten. Damit ist wenig getan.

Man sei misstrauisch, wenn der Autor in dem byzantinischen Stil falscher Wissenschaftlichkeit einher gestelzt kommt. Der Kaiser hat ja keine Kleider … und unter dem tombaknen Zeug siehst du ein paar jämmerlich dünne Beine und geflickte Unterhosen.

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Autor: Kurt Tucholsky

Bewertung des Redakteurs:
4

Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren?

Vincent van Gogh