Digitaler Aussetzer

Digitaler Aussetzer ~ Am Tag an dem das Internet zerstört wurde

Am Tag, an dem das Internet zerstört wurde, erschütterten viele Explosionen beinahe gleichzeitig alle Großstädte der Welt, in denen die mächtigsten Rechenzentren standen. Es waren Festungen aus Stahl, Beton und Glasfasern, die den Inbegriff der virtuellen Welt der kontinentalen Kommunikation darstellten.

Nun lagen diese Gebäude in Trümmern und rauchten aus abertausend funkensprühenden Serverschränken. Ein Gestank von geschmolzenem Gummi durchzog die Städte und erinnerte an die Vergänglichkeit der Dinge, selbst der künstlichen. Tera- und Petabytes von Daten, die man für unsterblich gehalten hatte, waren jetzt der Materie enthoben und für immer verloren.

Die Verbindungen zu mehr als vierhundert Satelliten brachen jäh ab. Sämtliche Computer, Handys, Laptops und Tablets, die eines der beiden geläufigsten Betriebssysteme nutzten, wurden nach unscheinbaren Updates von Malware praktisch lahmgelegt. Gespenstisch synchron gaben Chips der vier am weitesten verbreiteten Chiphersteller und Festplatten mit Knirschen und Knacken ihren Geist auf. Flächendeckende Stromausfälle taten ihr Übriges.

Bürger, die den digitalen Untergang für das Ende der Zivilisation hielten, stürmten noch schnell Supermärkte und Tankstellen und horteten jetzt Konserven, Benzin und Waffen.

Nur in den Ozeanen kehrte zauberhafte Stille ein. Das Surren kilometerlanger Kabel war plötzlich verstummt, und die höher entwickelten Meerestiere spürten, dass ihr Kosmos eine neue Geschmeidigkeit erhalten hatte, eine Zartheit, die die ältesten von ihnen noch aus der Frühzeit ihres Daseins kannten.

Fast dreizehn Stunden dauerte die technische Sprachlosigkeit an. Dann, als der Strom der verbliebenen Knotenpunkte wieder hergestellt war, erhob sich Gemurmel an den Rändern der Kontinente, schwappte zögerlich und dann flutartiger wieder über Land und Seen. Verbindungen wurden wiederbelebt, ein Notfallplan konnte greifen und das Ausmaß der Zerstörung ermessen werden.

Überraschend wenig Menschen waren gestorben, die meisten durch Personalausfälle in Altenheimen und Krankenhäusern und nur ein paar durch Schusswaffengebrauch.

Unzählige zerrüttete Familien aber hatten sich angesichts des drohenden Endes wieder versöhnt und fast jeder vierte heimlich Verliebte hatte der Angebeteten noch schnell seine Liebe gestanden.

Was für ein Tag!

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Autor: Jenny Mai Nuyen

Bewertung des Redakteurs:
4

Meditation bringt uns in Berührung mit dem, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Johann Wolfgang von Goethe