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Vom Fliegerberuf · Pilot und Leben

Vom Fliegerberuf · Antoine de Saint-Exupéry · Pilot und Leben

Wenn man gegen zwei Uhr früh mit dem Flugzeug die Post von Dakar nach Casablanca bringt, stellt man inmitten von Sternen, deren Namen ich nicht kenne, die dunkle Haube des Motors etwas rechts von der Spitze des großen Wagens ein.

Je mehr andere Sternbilder aufsteigen, wechselt man die Sterne, um nicht die Augen zu hoch heben zu müssen. Und nach und nach, ebenso wie die Nacht große Wäsche in der sichtbaren Welt hält und nur Sterne hoch über einer schwarzen Sandfläche bestehen lässt, hält sie auch große Wäsche im Herzen.

Alle unwichtigen Sorgen, die man für die Hauptsache hielt, die Zornesregungen, die unbestimmten Wünsche, die Eifersüchteleien werden ausgelöscht, und nur die ernsten Sorgen bleiben. Während man dann von Stunde zu Stunde diese Sternentreppe bis zum Morgengrauen hinabsteigt, fühlt man sich rein.

Größe und Knechtschaft des Fliegerberufs… Ja, der Beruf hat seine großen Augenblicke: die starken Freuden der Ankunft, sobald der Sturm überwunden ist; dieses Hinabgleiten auf Alicante oder Santiago zu, die im Sonnenschein daliegen, während man Finsternis oder Gewitter hinter sich hat.

Dieses machtvolle Gefühl, dass man heimkommt, um wieder seinen Platz im Leben einzunehmen: im Wundergarten, in dem es Bäume gibt und Frauen und kleine Hafencafés, das sind die ergreifenden Augenblicke.

Wenn man dann mit abgedrosseltem Motor auf den Flugplatz hinuntergeht, hinter einem die düsteren Wolkenberge, von denen man sich befreit – welcher Linienflieger hat da nicht schon frohlockt?

Ja, der Beruf hat auch seine elenden Augenblicke, deretwegen man ihn vielleicht ebenfalls liebgewinnt. Dieses unvorhergesehene Wecken, diese plötzlichen Starts nach Senegal, diese Entsagungen, usw. Erst recht die Notlandungen in Sumpfgebieten, und die Gewaltmärsche durch Sand oder Schnee!

Wenn einen das Schicksal auf einen unbekannten Planeten verschlagen hat, muss man wohl oder übel aus ihm herausfinden, in die lebendige Welt entweichen, den Kreis dieser Berge, dieses Sandes, dieses Schweigens durchbrechen!

Ja, es gibt das Schweigen. Wenn ein Kurierflugzeug nicht zur vorgesehenen Zeit gelandet ist, wartet man eine Stunde, einen Tag, zwei Tage; doch das Schweigen, das einen Menschen von den Hoffenden trennt, ist dann schon zu dicht geworden. Viele Kameraden, von denen man nie mehr etwas erfahren hat, sind im Tod versunken wie in Schneemassen.

Elend und Größe, gewiss – aber es gibt auch noch etwas anderes! Jener Flieger, der sich in der Nacht niedergelassen hat und der nach Casablanca zurückfliegt, während die dunkle Motorhaube sachte wie ein Schiffssteven zwischen den Sternen schaukelt – jener Flieger hat wieder teil am Wesentlichen.

Dieses entscheidende Ereignis: den Übergang von der Nacht zum Tag, überrascht er in seinem Geheimnis. Er überrascht den Tag an seinem Ursprung. Er wusste wohl, dass der Himmel im Osten lange bleicht, bevor die Sonne auftaucht, aber nur im Fliegen entdeckt er diesen Lichtbrunnen.

Hätte er tausendmal die Morgendämmerung erlebt, so wüsste er, dass der Himmel hell wird, nicht aber, dass das Licht wie aus einem Quell entspringt und sich ausdehnt: er hätte nicht diesen artesischen Brunnen des Tages entdeckt. Der Tag, die Nacht, das Gebirge, das Meer, das Gewitter…

Inmitten der elementaren Gottheiten, von einer einfachen Moral geleitet, findet der Linienflieger zur Weisheit des Bauern zurück.

Der alte Landarzt, der abends von Hof zu Hof geht, um in den Augen das Licht wieder anzuzünden, der Gärtner in seinem Garten, der sich auf die Geburtshilfe bei Rosen versteht, alle, deren Beruf sich dem Leben annähert und dem Tod, erlangen in ihm die gleiche Weisheit.

Da gibt es auch den Adel, den die Gefahr verleiht. Wie fern liegt uns das Prunken mit der Gefahr, das literarische Gefallen am Wagnis oder jene Devise, die früher einmal auf ein Flugzeug gemalt war und deren Doppelsinn gleichzeitig die Kurtisane und den Tod verherrlichte.

Wer von uns, meine Kameraden, spürte nicht aus solchen billigen Attitüden etwas Kränkendes heraus gegenüber dem wirklichen Mut, gegenüber den Männern, denen die Gefahr zum täglichen Brot wird und die hart kämpfen, um heimzukehren?

Das Wesentliche? Das sind vielleicht nicht die starken Freuden des Berufs, nicht sein Elend, nicht die Gefahr, sondern der Gesichtspunkt, zu dem dies alles emporführt.

Wenn der Flieger jetzt mit fort genommenem Gas, mit eingeschläfertem Motor zur Landung ansetzt und die Stadt betrachtet, in der die Miseren der Menschen zu Hause sind: ihre Geldsorgen, ihre Niedertracht, ihre Neidgefühle, ihre Ränke, dann fühlt er sich rein und unberührt.

Er genießt ganz einfach, wenn er einen schlechte Nacht hinter sich hat, die Freude am Leben. Er ist nicht der Sträfling, der sich nach getaner Arbeit in seinem Vorort einschließen wird, sondern er ist der Prinz, der mit langsamen Schritten zu seinen Gärten zurückkehrt.

Grüne Wälder, blaue Flüsse, rosa Dächer, das sind die Schätze, die ihm wiedergeschenkt sind. Und die Frau, die noch inmitten dieser Steine versunken ist, die Frau, deren Geburt bevorsteht, die wachsen wird, bis sie sein Maß erreicht hat, die er lieben wird…

Vom Fliegerberuf · Antoine de Saint-Exupéry · Pilot und Leben


Das Unbewusste ist viel moralischer, als das Bewusste wahrhaben will.


Sigmund Freud