Cafe creme · Walter Benjamin

Café crème · Walter Benjamin · Frühstück in Paris

Wer sich auf silbernem Brettchen, mit Butterkugeln und Marmelade garniert, den Morgenkaffee auf seinem Pariser Zimmer servieren lässt, weiß nichts von ihm.

Im Bistro muss man ihn nehmen, wo zwischen den Spiegeln das petit déjeuner selber ein Hohlspiegel ist, in dem das kleinste Bild dieser Stadt erscheint.

Bei keiner Mahlzeit sind die Tempi verschiedener, vom mechanischen Handgriff des Angestellten, der am Zinc sein Glas Melange hinunterstürzt, bis zum beschaulichen Genuss, mit dem, in der Pause zwischen zwei Zügen, ein Reisender langsam die Tasse leert.

Und selber sitzt du vielleicht neben ihm, am gleichen Tisch, auf der gleichen Bank und bist doch weit entfernt und für dich. Deine morgendliche Nüchternheit opferst du, um etwas zu dir zu nehmen. Und was nimmst du mit diesem Kaffee nicht alles zu dir: den ganzen Morgen, den Morgen von diesem Tag und manchmal auch den verlorenen des Lebens.

Hättest du als Kind an diesem Tisch gesessen, wie viel Schiffe wären nicht über das Eismeer der Marmorplatte gezogen. Du hättest gewusst, wie es auf dem Marmara-Meer aussieht.

Den Blick auf einen Eisberg oder ein Segel hättest du einen Schluck für den Vater und einen für den Onkel und einen für den Bruder genommen, bis an den dicken Rand deiner Tasse, breites Vorgebirge, auf welchem die Lippen ruhten, langsam die Sahne wäre angeschwemmt gekommen.

Wie schwach ist dein Ekel geworden. Wie schnell und wie hygienisch geht es zu: du trinkst; du tunkst nicht, du brockst nicht ein. Verschlafen greifst du nach der madeleine im Brotkorb, brichst sie und merkst nicht einmal, wie es dich traurig macht, sie nicht teilen zu können.

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Autor: Walter Benjamin

Bewertung des Redakteurs:
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Die einzige unmittelbar glaubwürdige Realität ist die Realität des Bewusstseins.


René Descartes