Telefon-Märchen · Gianni Rodari · Buchhalter Bianchi
Es war einmal ein Buchhalter mit Namen Bianchi aus Varese.
Er war Handelsvertreter und reiste an sechs von sieben Tagen durch ganz Italien, im Osten, Westen, Süden, Norden und dazwischen, und verkaufte Medikamente.
Sonntags kehrte er dann immer wieder nach Hause zurück, und am Montagmorgen reiste er wieder ab.
Immer bevor er wieder ging, sagte seine kleine Tochter zu ihm: »Pass auf dich auf, Papa, und erzähle mir jeden Abend wieder eine kleine Geschichte«.
Das kleine Mädchen konnte nämlich nicht einschlafen ohne eine kleine Geschichte zu hören.
Ihre Mutter hatte ihr ja bereits schon alle Geschichten drei Mal erzählt, und sie kannte sie alle in- und auswendig.
Jeden Abend also, wo auch immer sich der Buchhalter Bianchi aufhielt, um Punkt neun Uhr, rief er seine kleine Tochter an und erzählte ihr eine kurze Geschichte.
Eine Geschichte lautete zum Beispiel so:
Auf einem Markt in Italien gibt es immer viele kleine Männer, die alles verkaufen, was nicht niet- und nagelfest ist. Keiner kann es besser und niemand weiß, wo sie eigentlich herkommen.
So kam eines Freitags auch ein kleiner Mann auf den Marktplatz, der wirklich seltsame Dinge verkaufte: Den Mont Blanc, den Indischen Ozean, die Mondmeere, und noch etliches mehr.
Er hatte auch ein wunderbares Mundwerk und nach einer Stunde gab es nur noch die Stadt Stockholm zu verkaufen.
Ein Barbier aus dem Ort kaufte die Stadt schließlich, im Austausch dafür bekam der Händler einen kostenlosen Haarschnitt mit Kopfwäsche.
Anschließend nagelte der Barbier die erhaltene Urkunde, die er vom kleinen Mann bekommen hatte zwischen zwei Spiegel und zeigte sie stolz allen seinen Kunden. Auf dem Schriftstück stand: Besitzer der Stadt Stockholm.
Der Barbier beantwortete auch alle Fragen, die ihm die Kunden stellten.
So sagte er zu ihnen: Stockholm ist eine Stadt in Schweden, ja, sie ist sogar die Hauptstadt. Sie hat fast eine Million Einwohner und die gehören natürlich jetzt alle ihm. Es gibt dort natürlich auch ein Meer, aber er wisse nicht, wer der Besitzer davon sei.
Für seine Reise nach Stockholm legte der Friseur sodann nach und nach Geld zur Seite, und letztes Jahr fuhr er nach Schweden, um seinen Besitz zu besichtigen.
Die Stadt Stockholm schien ihm ein wunderbarer Ort zu sein und die Schweden waren auch alle sehr freundlich. Sie verstanden zwar kein einziges Wort, das er sagte, und auch er verstand kein einziges Wort von dem, was diese sagten.
Er versuchte ihnen nur immer wieder mitzuteilen: »Ich bin der Herr der Stadt, wisst ihr das oder wisst ihr es nicht? Habt ihr die Urkunde und das Kommuniqué schon gelesen?«
Die Schweden lächelten dann immer nur und sagten immerzu ja, weil sie ja nichts verstanden.
Aber eines muss man sagen, sie waren wirklich immer ganz nett zu ihm. Der Barbier rieb sich schließlich zufrieden die Hände und dachte: »So eine Stadt für nur einen Haarschnitt und eine Wäsche! Ich hab wirklich billig eingekauft.«
Aber er hatte sich geirrt. Er hatte viel zu viel bezahlt!
Und warum? Alle Kinder, die auf die Welt kommen wissen, dass allen und niemandem die Welt gehört.
Telefon-Märchen · Gianni Rodari · Buchhalter Bianchi · Kauf der Stadt Stockholm
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Autor: Gianni Rodari
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Achtsamkeit ist nicht schwierig, wir müssen uns nur daran erinnern, achtsam zu sein.
Sharon Salzberg