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Radfahren verboten

Radfahren verboten · Michail Soschtschenko · Sankt Petersburg

Ich habe ein Fahrrad. Ein ganz anständiges Ding, mit dem ich hin und wieder eine Spazierfahrt mache, um meine Nerven zu beruhigen und meine seelische Verfassung im Gleichgewicht zu halten.

Also, es ist wirklich ein tadelloses Fahrrad. Leider sind die Räder nicht mehr ganz vollzählig. Das heißt: vollzählig sind sie schon! Aber das eine ist englischer, das andere deutscher Herkunft und die Lenkstange stammt aus der Ukraine. Aber immerhin, man kann fahren damit. Wenn das Wetter trocken ist!

Nun, um die Wahrheit zu sagen: das Fahren auf diesem Rad bedeutet Qual und Kummer, aber um mein Herz jung zu halten, und auch, wenn ich glaube, dass man nicht allzu sehr am Leben hängen soll, fahre ich mit meinem Rad.

Wieder einmal tue ich das, auf einer großen, breiten Straße am Flussufer, sozusagen auf dem Boulevard, und biege alsdann seitwärts in die Allee ein, die neben diesem Boulevard einher läuft.

Um mich herum blüht der Sommer, grünes Gras und Blumenbeete mit vielen Blumen, die allerdings schon verwelkt sind. Blauer Himmel schwebt über mir. Zwitschernde Vögelchen. Im Kehricht pickt eine Krähe. Am Tor eines Hofes bellt ein kleines Hundchen.

Ich sehe auf dieses sommerliche Bild, und plötzlich wird mir das Herz fröhlich-weit, und ich mag an nichts Böses mehr denken. Ich träume von einem anständigen Leben und von lieben, einsichtigen Mitbürgern, von gegenseitiger Wertschätzung und guten Sitten. Ja auch von der Liebe zu meinen Nächsten.

Ja, in diesem Augenblick möchte ich alles umarmen, möchte jedem liebe Worte sagen oder ihn in ein Gasthaus führen und auf meine Kosten essen lassen. Ach, und Geld möchte ich austeilen, um all die Not und das viele Elend zu lindern!

Plötzlich schrillt ein Pfiff in der Ferne. Ich denke mir, dass sich irgendwo jemand nicht an die Verkehrsordnung gehalten hat. Jemand mag die Straße nicht in der richtigen Weise überschritten haben. In einer besseren Zukunft wird es so etwas nicht mehr geben. Nicht mehr diese groben, beleidigenden Pfiffe, die jetzt durch ganz Russland gellen.

Wieder schrillt nicht weit von mir ein Pfiff, und ich höre Schreie und sausacksiedegrobes Schimpfen. Nun, auf solche Weise wird man in Zukunft auch nicht mehr schreien. Freilich, schreien wird man ja vielleicht hie und da noch, aber so eine ordinäre und beleidigende Schimpferei mag es wohl nicht mehr geben.

Ich höre, wie jemand hinter mir her läuft und brüllt, mit heiserer Stimme: »Willst ausreißen, du Schweinehund! Hol dich der Teufel. Auf der Stelle bleibst du stehen!« Man jagt hinter jemand her, denke ich, und fahre weiter, still und unentwegt. »Ljoschka«, schreit da einer, »lauf mal links herum, du Schafbock. Lass ihn nicht aus den Augen!«

Ich sehe, von links kommt ein Bürschchen gelaufen. Wedelt mit einem Knüppel und droht mit der Faust. Ich drehe mich um. Ein grauhaariger, ehrenwerter Wächter läuft auf der Straße und brüllt, was er nur brüllen kann: »Pack ihn, Brüderchen, pack ihn. Ljoschka, lass ihn nicht aus!«

In diesem Augenblick kommt Ljoschka auf mich zu und schleudert mir den Knüppel in die Speichen. Nun erst fange ich an zu begreifen, dass die ganze Sache mich angeht, und ich springe ab.

Der Wächter läuft heran. Keucht atemlos: »Haltet ihn, haltet ihn!« Liebenswürdige Menschen, zehn an der Zahl, greifen nach meinen Händen, quetschen, drücken und drehen sie und biegen sie mir auf den Rücken.

»Brüderchen«, sage ich, »seit ihr denn verrückt geworden? Habt ihr, zusammen mit dem Dummbart da, den Verstand verloren?«

Brüllt der Wächter: »Gleich werde ich dir die Schnauze stopfen. Willst mich beleidigen, weil ich meine Dienstpflicht erfülle! Haltet ihn fest, den Schweinehund! Lasst ihn nicht entwischen!« Jemand fragt: »Nun, was ist? Was hat er denn getan?«

Da antwortet der Wächter: »Er hat mich fast zu Tode gejagt, der Hundesohn. Mich alten Mann von dreiundfünzig Jahren. Hier ist das Radfahren verboten! Früher hing hier sogar eine Verbotstafel da. Aber dieser Teufel da fährt schamlos vor sich hin. Ich pfeife, aber er bewegt weiter die Beine. Gut, dass mein Gehilfe ihn mit dem Knüppel treffen konnte!«

»Brüderchen«, sage ich, »ich wusste nicht, dass man hier nicht fahren darf. Ausreißen wollte ich nicht.«

»Er wollte nicht entwischen!« keucht der Wächter. »Hat man je solche unverschämten Reden gehört! Bringt ihn zur Miliz, Marsch!«

Jemand ruft: »Dreht ihm doch nicht die Arme aus!« Und ich sage: »Brüderchen, ich werde das Strafgeld ja bezahlen. Ich weigere mich doch nicht. Reißt mir nur nicht die Hände ab!«

Wieder schlägt ein anderer vor: »Lasst ihn sich ausweisen und kassiert dann das Geld. Warum schleift ihr ihn zur Miliz? Ist ja Unsinn.«

Der Wächter und eine Anzahl Anderer haben Lust, mich zur Miliz zu bringen. Schließlich aber, unter dem Druck der Mehrheit, verzichten sie darauf. Unter fürchterlichem Fluchen streicht der Wächter das Bußgeld ein und übergibt mich der Freiheit wieder. Was ihm, hoffentlich, leid tut.

Schwankend und taumelnd gehe ich fort. Mit meinem Fahrrad. Mein Kopf brummt. Vor den Augen tanzen Kreise und feurige Punkte. Mit ausgerenkten Armen und wundem Herzen schleiche ich weiter. Und denke reaktionäre Redensarten wie: »Herrgott! Mein Gott!« Massiere meine Hände und sage leise »Pfui!« Dann gehe ich weiter auf die breite Uferstraße, setze mich wieder auf mein Rad und fahre still den Kai entlang.

Nach und nach vergesse ich die abscheuliche Szene und male wieder an den rosigen Bildern der Zukunft. So fahre ich, in Gedanken, auf einem Rad, dessen Räder sich gleichen wie ein Ei dem anderen. Dann schwenke ich ein in die besagte Unglücksallee, und plötzlich höre ich jemand lachen. Ich schaue, da kommt der Wächter.

Er hat ein Blümchen in der Hand, ein Vergißmeinnicht, oder ist es gar ein Tülpchen? Er dreht das Blümchen hin und her und lacht: »Ja, wo fährst du denn herum, Freundchen? Bist ja auf einem verbotenen Weg, du Dummköpfchen! Bist schon ein rechter Affe, mein Seelchen! Mach doch fort von hier, sonst gibt es Strafe! Bekommst dann die Blume nicht«

Und er gibt mir lächelnd das Vergißmeinnicht, und wir trennen uns als Menschen, die Gefallen aneinander fanden.

Diese freundliche Vision mildert die Leiden, die ich erduldet habe. Ich fahre weiter, bewege tapfer die Beine und sage zu mir selbst: »Nein, das macht mir fast gar nichts aus. Das Herz wird mir davon nicht kaputt gehen. Ich bin noch ziemlich jung. Ich kann warten…«

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Autor: Michail Soschtschenko

Bewertung des Redakteurs:
4

Die wahre Lebensweisheit besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.

Ralph Waldo Emerson