Mimik des geistigen Lebens

Mimik des geistigen Lebens · R.M.F · Alltagspsychologie

Nicht nur das Gemütsleben drückt sich in Bewegungen aus, auch das Geistesleben, allerdings vor allem in seinen stets darin enthaltenen emotionalen und willenshaften Elementen.

Wahrnehmung, Besinnung und Denken haben ihre Mimik, die jeder kennt, besonders wenn sie die aktive, das heißt willenshafte Form der »Aufmerksamkeit« annehmen.

Wir nehmen nicht nur mit dem Geist wahr und denken nicht nur mit dem Verstand, sondern auch an diesen angeblich rein geistigen Tätigkeiten nimmt der ganze Körper teil.

Nur kurz sei ein Bild der Mimik des Wahrnehmungsvorgangs entworfen; wer es anschaulich vor sich sehen will, betrachte nur einmal Rembrandts »Anatomie« Bild. (siehe oben)!

Die Sinnesorgane passen sich an: beim Auge treten Pupillarreflex, Akkomodation und Konvergenzeinstellung in Tätigkeit, durch die Nase erfolgt tiefes Atemholen, bei Einstellung auf Geschmack erfolgt Drüsensekretion, das »Wasser läuft einem im Mund zusammen«.

Dazu kommen sekundäre Bewegungen: beim Sehen kontrahiert sich der Stirnmuskel, horizontale Stirnfalten treten auf, der Mund öffnet sich, die gesamte Kopfhaut spannt sich, der Rumpf beugt sich vor, die Hände führen entweder Nachahmungsbewegungen aus oder spannen sich wie zum Zupacken.

Da die aufmerksame Wahrnehmung ein Ergreifen eines Außenweltsobjektes ist, so ist die Verwandtschaft mit der Mimik der Erwerbstriebe leicht verständlich.

Aber auch die innere Geistesarbeit hat ihre Mimik, deren Urgesten jedoch nicht das Ergreifen eines außerkörperlichen Gegenstandes, sondern gerade das Fernhalten aller Außenweltseindrücke, die Konzentration auf die Innerlichkeit ist.

Deshalb wendet sich der Blick nach innen oder starrt gleichsam blind in eine Ecke, die Augen divergieren, in besonders lebhaftem Denken schließt sich sogar das Auge. Der Atem wird angehalten, der Mund presst sich zusammen, kurz, wir erhalten das genaue Gegenbild der äußeren Aufmerksamkeitsmimik.

Das gilt auch für die übrigen Bewegungen. Oft werden Brauen und Stirnhaut empor gezogen, Kopf und Rumpf lehnen sich zurück, die Hände sind unbewegt, schlaff oder führen allerlei zwecklose Bewegungen aus, sie spielen, sie kratzen den Kopf, trommeln auf den Tisch, alles als Ableitungsreaktion zu erklären.

Oft stützt sich der Kopf auch in die Hände, als sollten diese ihm seine Arbeit erleichtern. Auch die Füße führen scheinbar zwecklose Bewegungen aus oder sie verkrampfen sich. Man betrachte Rodins »Denker«, der freilich besser der »Grübler« hieße!

Kurz, die Mimik des Denkens geht auf Abschluss der Außenwelt aus.

Dass diese Gesten konstitutionell werden, ist ebenfalls bekannt. Man kann rein körperlich den Typus des nach außen vom Typus des nach innen gekehrten Menschen unterscheiden. Das Auge des Ersten ist offen, klar, die Mimik lebhaft, wechselnd, gespannt, auch wenn er gerade nicht etwas Besonderes beobachtet.

Der Blick des Träumers, des Dichters oder Philosophen dagegen ist gleichsam verhängt und verschleiert, seine Züge sind schlaffer, seine Körperbewegungen langsam und gehemmt. Kurz, jener ist der Außenwelt zugewandt, dieser gegen sie verschlossen.

Mit all dem haben wir freilich nur die formalen Seiten der geistigen Betätigung erfasst, nur ihr WIE, nicht ihr WAS spiegelt sich zunächst in der Mimik. Doch ist auch das WAS oft darin erkennbar.

Ist ein Außenweltsbestandteil Gegenstand des Denkens, so dreht sich der Blick ganz unwillkürlich in dessen Richtung. Das Ziel der Wahrnehmung ist ja ganz unmittelbar zu erfassen; aber auch wenn einer lebhaft an die Sonne denkt, ohne sie konkret beobachten zu wollen, so pflegt sich das Auge unwillkürlich hinzuwenden.

Dazu tritt eine konventionelle, symbolische Denkmimik, wozu in erster Linie die Sprache gehört, über die später zu reden sein wird. Dass wir bei lebhaftem Denken innerlich sprechen, sogar in leise oder laute Monologe verfallen, gehört ebenfalls in das Kapitel des motorischen Ausdrucks.

Wir können kaum intensiv an einen Namen denken, ohne ihn innerlich zu sprechen, unhörbare Bewegungen mit den Sprachwerkzeugen auszuführen. Dort, wo Hemmungen fehlen, wie in heftiger Aufregung oder bei Geisteskranken, erfolgt sogar lautes Sprechen.

Auch diese motorische Aktivität ist »Verkörperung« des Geistes, Verkörperung, die nicht nebensächliche Begleiterscheinung, sondern unentbehrliches Material des Denken ist.

Kurz, man kann grundsätzlich sagen, dass es keine geistige Tätigkeit gibt, der nicht körperliche Bewegungen parallel gehen, ja für die nicht körperliche Bewegungen die unerlässliche Grundlage sind. Die Seele schwebt nicht über dem Körper, Seele und Körper sind eins.

Man verstehe das nicht als Materialismus: es soll nicht heißen, dass die Seele Körper sei, es heißt eben so gut, dass der ganze Körper durchseelt ist, es heißt aber vor allem, dass sich in Geist wie Körper stets die gleiche immaterielle Macht, das Leben, auswirkt, das Bewusstsein und Körperlichkeit übergreift.

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Autor: R.M.F

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Carl Zuckmayer