Die Aeroplane in Brescia · 1 von 2 · Franz Kafka · Italien
Wir kommen an den Hangars vorüber, die mit ihren zusammengezogenen Vorhängen dastehen wie geschlossene Bühnen wandernder Komödianten. Auf ihren Giebelfeldern stehen die Namen der Aviatiker, deren Apparate sie verbergen, darüber die Trikolore ihrer Heimat.
In dem eingezäunten Platz vor seinem Hangar läuft Rougier, ein kleiner Mensch mit auffallender Nase, in Hemdsärmeln auf und ab. Er ist in äußerster, etwas unklarer Tätigkeit, er hebt und senkt die Arme mit den stark bewegten Händen, betastet sich im Gehen überall, schickt seine Arbeiter hinter den Vorhang des Hangars, ruft sie zurück, geht selbst, alle von sich drängend, hinein, während abseits seine Frau in engem weißem Kleid, einen kleinen schwarzen Hut stark ins Haar gepresst, die Beine im kurzen Rock zart auseinander gestellt, in die leere Hitze schaut, eine Geschäftsfrau mit allen Sorgen des Geschäftes in ihrem kleinen Kopf.
Vor dem benachbarten Hangar sitzt Glenn Curtiss ganz allein. Durch die ein wenig gelüfteten Vorhänge ist sein Apparat zu sehen; er ist größer, als man erzählt. Als wir vorüberkommen, hält Curtiss den ‚New York Herald‘ in der Höhe vor sich und liest eine Zeile oben auf der Seite; nach einer halben Stunde kommen wir wieder vorbei, er hält schon in der Mitte dieser Seite; wieder nach einer halben Stunde ist er mit der Seite fertig und fängt eine neue an. Fliegen will er heute offenbar nicht.
Wir wenden uns und sehen das weite Feld. Es ist so groß, dass alles, was sich auf ihm befindet, verlassen scheint: Die Zielstange nahe bei uns, der Signalmast weit in der Ferne, das Startkatapult irgendwo rechts, ein Komitee-Automobil, das mit im Wind gespanntem gelbem Fähnchen einen Bogen über das Feld beschreibt, in seinem eigenen Staub stehenbleibt und wieder fährt.
Eine künstliche Einöde ist hier eingerichtet worden in einem fast tropischen Land, und der Hochadel Italiens, glänzende Damen aus Paris und alle anderen Tausende sind hier beisammen, um viele Stunden mit schmalen Augen in diese sonnige Einöde zu schauen.
Nichts ist auf diesem Platz, was sonst auf Sportfeldern Abwechslung bringt. Es fehlen die hübschen Hürden der Pferderennen, die weißen Zeichnungen der Tennisplätze, der frische Rasen der Fußballspiele, das steinerne Auf und Ab der Automobil- und Radrennbahnen.
Nur zwei- oder dreimal während des Nachmittags trabt ein Zug farbiger Reiter quer über die Ebene. Die Füße der Pferde sind unsichtbar im Staub, das gleichmäßige Licht der Sonne ändert sich bis gegen die fünfte Nachmittagsstunde nicht…
An einer Seite des Holzgeländers stehen viele Leute beieinander. »Wie klein!« ruft eine französische Gruppe gleichsam seufzend. Was ist den los? Wir drängen uns durch. Aber da steht ja auf dem Feld, ganz nahe, mit wirklicher gelblicher Farbe ein kleiner Aeroplan, den man zum Fliegen vorbereitet.
Nun sehen wir auch den Hangar von Louis Blériot, neben ihm den seines Schülers Leblanc, sie sind auf dem Feld aufgebaut. An einen der zwei Flügel des Apparats gelehnt steht Blériot und schaut, den Kopf fest auf dem Halse, seinen Mechanikern auf die Finger, wie sie am Motor arbeiten.
Auf dieser Kleinigkeit will er in die Luft? Da haben es zum Beispiel die Leute auf dem Wasser leichter. Die können zuerst in Pfützen üben, dann in Teichen, dann in Flüssen, und erst viel später wagen sie sich aufs Meer hinaus, für diesen hier gibt es nur das Meer.
Schon sitzt Blériot auf seinem Sitz, hält die Hand auf irgendeinem Hebel, lässt aber noch die Mechaniker gewähren, als seien sie überfleißige Kinder. Er schaut langsam zu uns her, schaut von uns weg und wieder anderswohin, behält aber den Blick immer bei sich.
Er wird jetzt fliegen, nichts ist natürlicher. Dieses Gefühl des Natürlichen mit dem gleichzeitigen, allgemeinen Gefühl des Außerordentlichen, das sich von ihm nicht abhalten lässt, gibt ihm diese Haltung.
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Autor: Franz Kafka
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Marcus Aurelius