Der weiße Fiat · Margarete Neumann

Der weiße Fiat · Margarete Neumann · Auto Kauf Preis

Das ist eine merkwürdige und ungewöhnliche Geschichte. Sie hat sich zugetragen in unserer Stadt, die gerade klein genug ist, dass einer den anderen vom Ansehn kennt, zu groß aber, damit zu den Gesichtern auch der Name sich einstellt oder gar die Lebensgeschichte.

In der Bezirkszeitung, im Lokalteil, der für unsere Stadt eingelegt wird, stand eine Annonce: »Verkaufe Fiat, gut erhalten, zweihundertfünfzig Mark«. Nach einigen Tagen erschien die Anzeige wieder und am Wochenende wurde sie zum dritten Mal abgedruckt.

Gregor S. arbeitet seit einiger Zeit als Redakteur in unserer Stadt. Er ist ein freundlicher junger Mann, überall beliebt wegen seiner freimütigen, gewinnenden Art, seiner aufrichtigen Höflichkeit und Anteilnahme. Und er ist immer ganz dort, wo er eben ist, nur bei diesen Menschen.

Es scheint dann, er habe alle anderen, die ihm gestern noch nahe standen, vollends vergessen. Jemand, der eine fortdauernde Freundschaft mit ihm wollte, müsste ihn sich ständig aufs Neue mit dem Lasso einfangen.

Dieser Gregor S. las die Annonce dreimal. Zuerst dachte er wie alle anderen an einen Druckfehler. Sie haben die Nullen vergessen. Beim zweiten Mal: Das ist ja eigenartig. Sie können doch nicht wieder verdruckt haben. Er telefonierte mit der Anzeigenabteilung und erfuhr, dass es so richtig sei. Dann ist es, sagte er sich, höchstens ein Unfallwagen.

Als aber der Text noch einmal erschien, beschloss er, der Angelegenheit nachzugehen. Nicht, dass er etwa ernstlich geglaubt hätte, er könne für solches Spottgeld ein Auto erwerben. Oder, vielleicht, saß solche Hoffnung als winziges Fünkchen am Grund seiner Neugierde, die ihn trieb, nachzuforschen, was es mit dieser merkwürdigen Sache auf sich habe. Er notierte die Adresse und setzte sich in den Bus, um das Vorstadtviertel zu erreichen.

Eine ältliche Frau öffnete, nicht dick, eher drall, trotz ihrer Jahre. Die grauen Haare hatte sie zu Rouladen gerollt um den Kopf gelegt. Sie sprach rasch und bestimmt, ihre Schnurrbarthärchen zitterten. An den Händen trug sie mehrere Ringe. Der Hitze halber war sie nur mit einer buntbedruckten Kittelschürze bekleidet, die sie ständig über den Knien zusammenhielt.

«Gewiss», sagte sie, «sind Sie gekommen, um sich den Wagen anzusehen».

Das Fünkchen auf dem Grund seiner Neugierde brannte. Die Frau hatte Wagen gesagt. Sie trat zu ihm in den Flur. Es war so ein Wohnblock mit schmalen Terrazzo-Treppen, die natürlich von den Bewohnern spiegelblank gebohnert werden, so dass der Besucher den drohenden Sturz kaum abzuwenden vermag.

Er ließ der Frau den Vortritt. Sie lief behende die Stufen hinab, ohne sich am Geländer zu halten. Die Garage lag in der zweiten Querstraße hinter den Wohnblöcken.

«Bitte», sagte die Frau, während sie aufschloss. Gregor traute sich keinen Schritt näher. Dort stand der Fiat, weiß und glänzend.

«Vielleicht verstehen Sie sich darauf» sagte die Frau, «er hat erst zehntausend herunter. Sie können sich überzeugen. Mein Mann hat ihn im Winter gekauft. Vorher hatte er einen Wartburg» Gregor S. Nickte.

«Möchten Sie nicht einmal um den Block fahren?» fragte die Frau. Sie nahm den Zündschlüssel aus ihrer Kitteltasche.

«Es ist ein schöner Wagen», sagte der junge Mann. «Aber es hat keinen Zweck, ich kann ihn nicht bezahlen».

«Wieso?» fragte die Frau. «Ich habe doch genau annonciert. Er kostet zweihundertfünfzig. Und die Garage, wenn Sie wollen, vermiete ich Ihnen zu fünfzig Mark im Monat. Das ist doch kulant».

«Zweihundertfünfzig Mark? Er ist hundertmal soviel wert!»

«Wollen Sie ihn nun kaufen, oder wollen Sie nicht?» sagte die Frau ungeduldig.

Sie hatte die Tür schon aufgemacht und setzte sich auf den Platz neben dem Fahrer. «Ich habe nämlich keine Erlaubnis, mein Mann, als er noch lebte, wollte es nicht».

Gregor S. holte tief Luft und stieg ein. Der Motor sprang wunderbar an, der Wagen glitt sachte auf die Straße, über die Kreuzung und reihte sich ein in den Strom des Nachmittagsverkehrs auf dem Großen Ring.

«Entschuldigen Sie», sagte Gregor, «ich verstehe noch nicht. Sie wollen diesen Wagen wirklich für zweihundertfünfzig Mark verkaufen?»

«Das sage ich doch». Die Frau hielt noch immer die bunte Schürze über ihren Knien zusammen. Er fuhr aus der Stadt. Sie schwebten vorbei an Gärten mit roten, blauen, violetten Blüten.

«Wir müssen zurück», sagte die Frau. «Ich habe Suppe auf dem Herd».

«Schade», sagte der junge Mann, «dann muss ich also wenden».

«Sie können», sagte die Frau, «den Wagen gleich mitnehmen, wenn er Ihnen so gut gefällt. Aber Sie müssen den Kaufvertrag vorher unterschreiben. Das ist wichtig.«

Gregor nickte unsicher. Gleich würde sich der Pferdefuß an der Sache zeigen.

Aber er war jetzt schon bereit, sich auf allerlei Unbedachtsamkeit einzulassen. Der Gedanke, dieses Wunderding könnte ihm wirklich zufallen, machte ihm Herzklopfen, fast Schwindel.

«Sie wundern sich bestimmt», sagte die Frau. «Dabei ist es ganz einfach. Mein Mann, wissen Sie, ……

… hatte noch eine andere. Fünfzehn Jahre lang, immer dieselbe. Zuerst hat er es mir verschwiegen. Aber dann bin ich dahintergekommen».

Sie wandte ihm ihr teigiges graues Gesicht zu. «Als ich es wusste, ist er zweimal die Woche über Nacht weggeblieben. Ich hab nichts gesagt. Es hatte doch keinen Zweck. Er war Ofensetzer, hatte schön was beiseite gelegt. Als er in Rente ging, war er schon krank. Im Krankenhaus wollte er dann sein Testament machen, damit meins gesichert ist, das Haus und das Sparkassenbuch….«

»…Und der Erlös vom Verkauf des Autos, der sollte für sie sein. Er hat mir alles gezeigt im Testament. Und ich hab es gleich gesehen. Ich meine, wo die Gelegenheit ist, ihr eins auszuwischen. Ich hatte so lange gewartet, fünfzehn Jahre … So ist das, junger Mann, verschenken kann ich den Fiat nicht. Es heißt: verkaufen. Aber wie teuer, das steht nicht dabei».

Sie strich die Strähne zurück, die ihr in die Stirn gefallen war, sie hatte dabei die Schürze vergessen. Ihre Knie, das bemerkte er mit einer Art schmerzhaftem Schreck, der ihm zugleich peinlich war, sahen viel jünger aus als ihr graues, schlaffes Gesicht.

«Sie kaufen also?» fragte die Frau.

«Natürlich», antwortete Gregor rasch. Er dachte, dass er es schnell hinter sich bringen müsste.

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Autor: Margarete Neumann

Bewertung des Redakteurs:
4


Lass dich niemals durch Kleinigkeiten oder alltäglichen und unvermeidlichen Vorfällen aus der Ruhe bringen.


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