Was Satire darf · Kurt Tucholsky

Was Satire darf · Kurt Tucholsky · Freiheit und Meinung

Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland vor dem Fernseher, dem PC oder dem Handy und nimmt übel.

Satire scheint in den Augen vieler Menschen eine durchaus negative Sache zu sein. Sie sagt aber: »Nein!«. Eine Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt gegen alles, was falsch, verlogen, stockt oder träge ist.

Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich eine charakterlose Person schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den anderen.

Der Satiriker selbst ist meist ein gekränkter Idealist. Er möchte gern eine gute Welt haben, sie ist aber schlecht in seinen Augen, und er rennt nun gegen das Schlechte an.

Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen kämpft, verdient also nicht diese Nichtachtung und das empörte Fauchen, mit dem hierzulande diese Kunst oft abgetan wird.

Viele Menschen machen vor allem einen Fehler: sie verwechseln das Dargestellte mit dem Darstellenden. Wenn man so z.B. die Folgen der Trunksucht aufzeigen will, also dieses Laster bekämpfen, so kann man das nicht mit frommen Bibelsprüchen, sondern am wirksamsten durch die packende Darstellung eines Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist. Man hebt den Vorhang auf, der schonend über die Fäulnis im Land gebreitet ist, und sagt: »Seht

In Deutschland nennt man dergleichen Krassheit. Trunksucht ist auch ein böses Ding, sie schädigt das Volk, und nur schonungslose Wahrheit kann da helfen.

Übertreibt die Satire? Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: »Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten!«

Wir sollten also nicht so kleinlich sein. Wir alle – Volksschullehrer und Kaufleute und Professoren und Redakteure und Musiker und Ärzte und Beamte und Angestellte und Frauen und Beauftragte – wir alle haben Fehler und komische Seiten und kleine und große Schwächen.

Und wir müssen nicht immer gleich aufbegehren, wenn einer wirklich einmal einen guten Witz reißt. Boshaft kann er sein, aber ehrlich soll er sein. Das ist kein rechter Mann und keine rechte Frau, die nicht einen ordentlichen Puff vertragen können.

Sie mögen sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, sie mögen mit Worten wider schlagen – aber sie sollten nicht verletzt, empört oder gekränkt den Kopf wenden. Es würde bei uns im öffentlichen Leben ein viel reinerer Wind wehen, wenn nicht alle übel nehmen würden.

So aber schwillt der Dünkel zum Größenwahn weiter an. Der Satiriker tanzt zwischen Interessen, Vereinigungen, Klassen, Konfessionen und Einrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiss auch recht graziös, aber auf Dauer etwas ermüdend.

Die echte Satire ist gesund und wirkt blutreinigend: denn wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.

Was darf die Satire?

(Fast) Alles! Es gibt auch Grenzen der Ironie.

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Autor: Kurt Tucholsky

Bewertung des Redakteurs:
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Unser Schicksal hängt davon ab, worauf sich unser Bewusstsein festgelegt hat.

Hans Moser