01 · Die Vielheit der Zwecke

Die Vielheit der Zwecke · Alltagspsychologie · Sinn des Lebens

Bekennen wir offen: soweit wir unsere Blicke spannen, so mächtige Fernrohre und so scharfe Mikroskope wir bauen, ein Endzweck der Welt, der all unserem Treiben einen Sinn gäbe, erschließt sich unseren Augen, offenbart sich unserem Denken nicht.

Eintagsfliegen im unendlichen Weltraum, Bürger eines Planeten, der kaum ein Staubkorn ist im ungeheuren All, müssen wir mutlos unseres Geistes Flügel sinken lassen, wenn wir uns die räumliche und zeitliche Weite des Universums gewärtig machen.

Und selbst auf der Erde bleibend, nur den Menschen als solchen betrachtend, sehen wir da ein deutliches Ziel, dem der dunkle, millionenköpfige, grausame und grausige Zug der Menschheitsgeschichte, der sich lärmend durch die Jahrhunderte schiebt, zudrängt? Dieser Zug, dessen stolzeste Führer Blinde sind, die anderen Blinden den Weg weisen?

Von einem Endzweck her (der Begriff Zweck wird hier als im Bewusstsein klar vorweggenommenes Ziel gesehen), das müssten wir jenem unbequemen Frager aus Utopien zugeben, ist die Welt nicht zu verstehen.

Und doch würde dieser, wenn er hineinhörte in das Stimmengewirr, das ihm entgegen tönt aus der Menschenwelt, allenthalben von Zwecken sprechen hören, von großen Zielsetzungen, deren jede die Welt von sich aus zu rechtfertigen sucht.

Aber abgesehen von dem, was wir sagten, dass letzte Gründe für all solche Behauptungen fehlen, dass nichts uns beweist, dass jene Zielsetzungen zu Recht bestehen: ein jeder dieser Einzelzwecke sucht den anderen zu widerlegen und ad absurdum zu führen.

Alle die da Staaten bauen und Künste treiben, Kirchen errichten und Wissenschaften üben, wirtschaftliche Werte schaffen oder Verhaltenslehren verkünden, sie halten – vorausgesetzt, dass sie im tiefsten Herzen an die eigenen Ziele glauben – doch die Zwecke und Ziele der anderen für Trug und Torheit, für die sie im besten Fall Duldung, ein mitleidig wohlwollendes Lächeln haben.

Politiker spotten über Priester und Künstler, Religionsstifter und Propheten verwerfen Staat und Wissenschaft, Künstler verhalten sich gleichgültig gegen Erkenntnisse und Moral; kurz, welcher Ziel- und Wertsetzung wir folgen, wir finden sie immer bemüht, die anderen ins Unrecht zu setzen.

Wohl haben wir Zwecke, aber wir haben keinen Zweck. Gerade die Vielheit der Zwecke, die sich gegenseitig befehden, lässt uns die Ratlosigkeit in Bezug auf das Ganze im grellsten Licht erscheinen.

Wir kämpfen hier nicht gegen Glauben und Überzeugungen, die aus Gefühlen stammen. Wir machen nur den Versuch, mit den Mitteln des Denkens an die Frage heranzutreten, die, das geben wir zu, ganz vielleicht nie mit den Mitteln des Denkens zu fassen ist. Immerhin sei der Versuch gemacht, so weit zu kommen, wie es mit den Mitteln des Erkennens, des beweisbaren, gestützten Erkennens möglich ist.

Und hier müssen wir gleich zu Anfang erklären, dass sich keiner der Zwecke, die sich die Menschheit setzt, durch Denken als souveräner Endzweck unseres Lebens erweisen und rechtfertigen lässt.

Die Vielheit der Zwecke · Vom Sinn des Lebens · R.M.F · Alltagspsychologie 

01 · Die Vielheit der Zwecke · AVENTIN Storys
Unterstütze AVENTIN Storys · Jeder €uro zählt · Herzlichen Dank
alltagspsychologie aventin de 24

Die Vielheit der Zwecke · Alltagspsychologie · Sinn des Lebens · Bekennen wir offen: soweit wir unsere Blicke spannen, so ...

URL: https://aventin.de/die-vielheit-der-zwecke-alltagspsychologie/

Autor: R.M.F

Bewertung des Redakteurs:
4


Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird, zu leben.


Marcus Aurelius