Die drei Diebe · Johann Peter Hebel · Märchen
Der Zundel-Heiner und der Zundel-Frieder trieben von Jugend an das Handwerk ihres Vaters, der bereits am Auerbacher Galgen mit des Seilers Tochter Bekanntschaft gemacht hatte, nämlich mit dem Strick.
Auch ein Schulkamerad, der rote Dieter, machte mit, er war der Jüngste. Sie mordeten nicht und griffen auch keine Menschen an, sondern visitierten nur bei Nacht die Hühnerställe, und wenn es Gelegenheit gab, auch Küchen, Keller und Speicher, allenfalls auch mal Geldtruhen.
Auf Märkten kauften sie immer nur für sie am günstigsten ein. Und wenn es mal nichts zu stehlen gab, übten sie sich untereinander mit allerlei Aufgaben und Kunststücken, um sich in ihrem Handwerk zu verbessern und weiter zu kommen.
Einmal im Wald sieht der Heiner auf einem hohen Baum einen Vogel auf dem Nest sitzen, denkt, der hat Eier, und fragt die anderen: »Wer ist imstande und holt dem Vogel dort oben die Eier aus dem Nest, ohne dass es der Vogel merkt?«
Der Frieder, wie eine Katze, klettert hinauf, nähert sich dem Nest, bohrt langsam ein kleines Loch unten drein, lässt ein Ei nach dem anderen in seine Hand fallen, flickt das Nest wieder zu mit Moos und bringt die Eier nach unten.
»Aber wer kann dem Vogel die Eier wieder unterlegen«, sagte jetzt der Frieder, »ohne dass es der Vogel merkt!«
Da klettert der Heiner den Baum hinauf, aber der Frieder klettert ihm nach, und während der Heiner dem Vogel langsam die Eier wieder unterschob, ohne dass es der Vogel merkte, zog der Frieder dem Heiner langsam die Hosen aus, ohne dass es Heiner merkte.
Da gab es ein großes Gelächter, und die beiden anderen sagten: »Der Frieder ist der Meister.« Der rote Dieter aber meinte: »Ich sehe schon, mit euch kann ich nicht mithalten, und wenn es einmal gefährlich werden sollte und der Letzte kann sich nicht mehr retten, so ist mir nicht um euch Bang, sondern um mich selbst.«
Also ging er fort, wurde wieder ein ehrlicher Mensch und lebte mit seiner Frau arbeitsam und häuslich zusammen.
Im Herbst, als die zwei anderen noch nicht lange zuvor auf einem Rossmarkt ein Ross gestohlen hatten, besuchten sie den Dieter und fragten ihn, wie es ihm gehe; denn sie hatten gehört, dass er ein Schwein geschlachtet hatte und wollten nur ein wenig darauf Acht geben, wo es denn liege. Es hing in einer Kammer an der Wand.
Als sie fort waren, sagte der Dieter: »Frau, ich will des Schwein in die Küche tragen und den Trog drauf legen, sonst ist es morgen nimmer unser.« In der Nacht kamen tatsächlich die Diebe, brachen, so leise sie konnten, die Mauer durch, aber die Beute war nicht mehr da.
Der Dieter merkte etwas, stand auf und ging um das Haus herum um nachzusehen. Unterdessen schlich sich Heiner um das andere Eck des Hauses herum ins Haus hinein bis zum Bett, wo die Frau lag, nahm die Stimme ihres Mannes an und sagte: »Frau, die Sau ist nicht mehr in der Kammer.«
Die Frau sagte: »Schwätz nicht so einfältig: Hast du sie nicht selber gestern in die Küche unter den Trog gelegt?«
»Ja so«, sagte der Heiner, »ich bin noch halb im Schlaf« und ging, holte das Schwein und trug es unbemerkt fort, wusste in der finsteren Nacht nicht, wo der Bruder war, dachte, er wird schon kommen an den bestellten Platz im Wald.
Und als der Dieter wieder ins Haus kam und nach dem Schwein greifen will, »Frau«, rief er, »Jetzt haben die Galgenstricke das Schwein doch noch geholt!«
Allein, so geschwind gab er nicht auf, sondern setzte den Dieben nach, und als er den Heiner eingeholt hatte (er war schon weit vom Hause weg), und merkte, dass dieser allein war, nahm der schnell die Stimme des Frieders an und sagte: »Bruder, lass jetzt mich das Schwein tragen. Du wirst müde sein.«
Der Heiner meinte, es sei der Bruder, gab ihm das Schwein und sagte, er wolle vorausgehen in den Wald und ein Feuer machen. Der Dieter aber kehrte hinter ihm wieder um und trug das Schwein wieder nach Hause.
Unterdessen irrte der Frieder in der Nacht herum, bis er im Wald endlich das Feuer sah, und kam und fragte den Bruder: »Hast du die Sau, Heiner?« Der Heiner sagte: »Hast du sie denn nicht, Frieder?« Da schauten sie einander mit großen Augen an und hätten kein so schön prasselndes Feuer mit buchenen Spänen zum Kochen gebraucht.
Desto schöner prasselte jetzt aber das Feuer daheim in Dieters Küche. Das Schwein wurde sogleich nach der Ankunft verhauen und als Kesselfleisch auf das Feuer gelegt. Dann sagte Dieter: »Frau, ich bin hungrig, und was wir nicht beizeiten essen, holen womöglich doch noch die Schelme.«
Als er sich dann in einen Winkel legte und ein wenig schlummerte, und die Frau mit der eisernen Gabel das Fleisch herum drehte und nach der Seite zum Mann schaute, weil dieser im Schlaf so ängstlich seufzte, kam eine zugespitzte Stange langsam durch den Kamin herab, spießte das beste Stück im Kessel an und zog es hinauf.
Und als der Mann im Schlaf immer ängstlicher winselte, und die Frau immer emsiger nach ihm umsah, kam die Stange zum zweiten Mal und zum dritten Mal. Und als die Frau den Dieter dann weckte: »Mann, jetzt wollen wir aber anrichten«, da war der Kessel leer, und es wäre ebenfalls kein so schönes großes Feuer nötig gewesen zum Kochen.
Als sie aber beide schon im Begriff waren, hungrig ins Bett zu gehen, und dachten: Soll der Henker das Schwein holen, da kamen die Diebe vom Dach herab durch das Loch der Mauer in die Kammer und aus der Kammer in die Stube und brachten wieder, was sie heimlich gemausert hatten.
Jetzt fing ein fröhliches Leben an. Man aß und trank, man scherzte und lachte, als ob man gemerkt hätte, es sei das letzte Mal, und war guter Dinge, bis der Mond im letzten Viertel über dem Haus stand und zum zweiten Mal im Dorf die Hähne krähten und von weitem der Hund des Metzgers bellte.
Die Schergen waren den Zundel-Brüdern bereits auf der Spur, und als die Frau des roten Dieters sagte: »jetzt wird es aber Zeit ins Bett zu gehen«, waren die Schergen wegen des gestohlenen Rosses bereits vor dem Haus vom roten Dieter und seiner Frau und holten den Zundel-Heiner und den Zundel-Frieder in den Turm und in das Zuchthaus, damit sie ihre Strafe bekämen.
Die drei Diebe · Johann Peter Hebel · Märchen
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Autor: Johan Peter Hebel
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Allein im Bereich des Bewusstseins ist der Mensch frei, Bewusstsein wiederum ist nur im jeweils gegenwärtigen Augenblick möglich.
Leo Tolstoi