Der Seemann und sein Sohn

Der Seemann und sein Sohn · Aesop Fabel · Familie und Rhetorik

Ein Seemann, so wird erzählt, hatte einen Sohn, den wollte er in der Grammatik ausbilden lassen. Also steckte er ihn in eine Schule, ließ ihm hinreichend Zeit und ermöglichte ihm eine vollständige Grammatikausbildung.

Da sprach der junge Mann zu seinem Vater: »Siehe, lieber Vater, jetzt habe ich die ganze Grammatik genau durchstudiert; doch nun möchte ich auch noch die Rhetorik studieren.«

Das gefiel dem Vater, deshalb gab er ihn auch wieder in die Schule, und der junge Mann wurde ein vollkommener Rhetor.

Als die Ausbildung zu Ende war, aßen sie zusammen im Haus, Vater, Mutter und Sohn, und der junge Mann berichtete seinen Eltern, dass er nun in der Grammatik und der Rhetorik ganz perfekt sei.

Da wandte sich der Seemann an seinen Sprössling: »Über die Rhetorik habe ich gehört, dass sie, wie der selige Aptaistos (der, der nicht stottert) schreibt, das Schatzkästlein aller Künste ausmacht. So gib uns doch bitte eine Probe dieser Kunst!«

»Indem ich dieses Huhn so teile,« antwortete der Sohn, »wie es die Rhetorik befielt, werde ich euch nun demonstrieren, dass die Rhetorik tatsächlich gewichtiger ist als alle anderen Künste.«

Dann teilte er das Huhn und sagte: »Dir, Vater, werde ich den Kopf geben, weil du das Oberhaupt des Hauses bist und über uns alle gebietest. Dir, Mutter, weise ich die Füße zu; denn du bist den ganzen Tag im Haus auf den Beinen und hast viel zu schaffen; ohne die Füße wärest du all dem nicht gewachsen. Dieser tote Körper aber, der nicht viel wert ist, verbleibt für mich, damit auch ich etwas für mein vieles Studieren abbekomme.«

Nach diesen Worten begann er das Huhn zu verspeisen. Doch der Vater lachte, riss ihm das Huhn weg und machte zwei Teile daraus.

»Nun mein kluger Sohn, Herr Rhetor, verhält es sich aber so, dass du dein Leben und Talent zur Hälfte deinem Vater, zum Halben deiner Mutter verdankst und deshalb teile ich es auch zur Hälfte uns beiden edlen Spendern zu. Mögest du zu ihrem Angedenken dich über Kopf und Füße erfreuen!«

Da lachte auch der Sohn, weil er verstand, dass sich der Apfel nicht weit vom Stamm befand.

Am Ende teilten redlich sie das Huhn, im einig Geiste der Familie nun.

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Autor: Aesop

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Schaffe Ordnung in dir selbst und um dich herum, gib allen deinen Dingen ihren zugewiesenen Platz und mache alles zu seiner Zeit.

Aventin