36 · Das Leben als Schau-Spiel

Das Leben als Schau-Spiel · R.M.F · Alltagspsychologie

Das Seelenleben, das man sich fälschlich vielfach als ein in der ewig dunklen Schale des Hirns abrollendes Schattenspiel vorstellt, ist uns zum lebendigen Schauspiel geworden.

Nicht mehr erscheint uns der Körper als fluchtwürdiges Gefängnis der Seele, wie ihn das fromme Mittelalter nannte, auch nicht als unseliger Madensack, wie ihn der ebenfalls fromme Luther einst schalt, sondern als wunderbares Werkzeug der Seele, als Apparat von einer Feinheit, wie ihn kein menschlicher Mechaniker ersinnen könnte.

Seele und Geist wirken sich aus bis in Fingerspitzen und Füße hinab, und wer den Ausdruck der Seele zu deuten vermag, der liest in Menschengesichtern und den Bewegungen menschlicher Körper mehr als in aufgeschlagenen Büchern.

Jetzt erst verstehen wir, warum die großen Künstler nicht müde wurden, den menschlichen Körper in Stein nachzubilden oder in Farben auf Leinwand zu bannen; nicht um des Körpers willen taten sie es, nein, weil im Körper die Seele wohnt, weil sie die Seele nachbildeten, indem sie die Formen des Körpers festhielten.

Und wir verstehen jetzt auch den Sinn des Theaters, der nicht der ist, Körper zur Schau zu stellen, dann wäre es ja eine Form der Prostitution, sondern Seele vor uns lebendig sich entfalten zu lassen: Seele im Körper und den Körper als Seele.

Und was wir lehren wollen ist: das ganze Leben als solches Schau-Spiel anzusehen, allenthalben im Körper die Seele zu erkennen und die Sprache der Seele zu vernehmen aus Blicken und Gesten, aus Haltung und Gestalt.

Wer das gelernt hat, der erlebt Schicksale und seelisches Geschehen nicht nur im Theater, dem wird jede Straße und jeder Salon zum Schau-Spiel, nicht zum Schauspiel freilich im niederen Sinn, sondern in jenem anderen, den große Dichter je und je als seinen wahren Sinn erkannt haben, dass es uns hineinführt in die Tiefen des Lebens, dass es im äußeren Geschehen die Seele schauen lehrt. 

Seelenlos ist der Alltag nur für den, dem das Organ für die Seele fehlt, dieses Organ, das unser eigener beseelter Körper ist, kraft dessen wir die Seele auch im fremden Körper verstehen. Seele wirkt auf Seele am unmittelbarsten durch Körper auf Körper.

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Autor: R.M.F

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Nur durch die Liebe und durch das Bewusstsein der Liebe wird der Mensch zum Menschen.


Friedrich Schlegel