Anderes Höhlengleichnis

Anderes Höhlengleichnis · Volker Braun · Alternative Literatur

Gezwängt in die Versteinerungen unserer berühmten Höhle, in der wir seit 5000 Jahren hocken, waren wir (nach schier aussichtslosem, von den meisten längst aufgegebenem Training der Halsmuskulatur und Rückenwirbel) seit den Detonationen der letzten sagenhaften Kriege immerhin beweglich genug, dass wir uns herumwenden konnten, um durch den Ausgang in das grelle Licht zu blicken.

Das war das Licht, das bekanntlich die Schatten verursachte, die wir bislang als Beleg unserer minimalen Bewegungen wahrgenommen hatten. Als wir aber jetzt ins Freie sahen, war es nicht hell. Die große Lichtquelle, die uns eigentlich aufgehen sollte, ja die immer wieder etliche angebetet hatten, war nicht vorhanden.

Es war auch kein Ausgang da, sondern hinter uns kauerten andere Leute, wie andere immer vor uns kauerten, in der selben Dämmerung. Offensichtlich mussten unsere Körper selbst oder die Bewegungen der Körper ein schwaches Licht ausstrahlen, das, summiert, uns schattenhaft und flüchtig festhielt an den Wänden.

Überrumpelt von dieser Entdeckung wollten wir uns wirklich halten an den Wänden – und griffen verblüfft und erschüttert ins Leere bzw. fielen vornüber in eine Menge Gerümpel, das wir besaßen. Wände also auch nicht! So hatte es kommen müssen.

Wir sitzen hier bereits 5000 Jahre in der Höhle, und sie hat gar keine Wände! Das war keine Höhle, dafür waren wir Logiker genug. Wir hausten womöglich so unglücklich gruppiert, dass wir uns mit unseren Vorstellungen und Apparaten selbst umbaut hatten und jeder aus seinem Winkel in einen unzersprengbaren Raum zu blicken glaubte. Einen Raum von Fakten und von steinernen Gesichtern.

Es war nun nicht so, wie einige von uns dachten, dass wir uns aus dem Laden einfach erheben konnten. Bei den ersten Versuchen, uns eilig und entschlossen hoch zu reißen, fühlten wir uns alsbald wie mit Ketten an den schleimigen Schutt gebunden und zurück gerissen, zumal sich die meisten nicht bewegten, und standen schwitzend und, um den schneidenden Schmerz zu lindern, geduckt in den Kontaktzonen, Überleitungsphasen, Ausfallzeiten und bei der rechnergestützten Ermittlung abrechenbarer Verpflichtungen.

Die aber den Schmerz nicht scheuten und sich lieber den Kopf einrannten an den herum ragenden rostigen Verhältnissen und Stillhalte-Praktiken als wieder in die Hocke zu gehen, richteten sich ganz auf und leuchteten für Momente ganz grell, besonders ihr Großhirn, wie eine phosphoreszierende Masse, und unsere stummen und halbherzigen Bewegungen waren schwarz und beschämend deutlich auf das ganze Inventar zurückgeworfen, bis die Körper dieser Jünglinge von Stricken quer durchschnitten und verbrannt zwischen unsere Nagelscheren, Tabellen und Nabelschnüre rollten.

Darüber begannen wieder Jahrhunderte zu vergehen voll neuem Schutt, geplanten Kosten, Kunstersatz und normativem Gespeichel. Aber in dieser Zeit begann ein neues, härteres Training, des schmerzhaften und wunderbaren aufrechten Gangs.

Anderes Höhlengleichnis · Volker Braun · Alternative Literatur

Der Schlüssel dazu, sich eines glücklichen und erfüllten Lebens erfreuen zu können, ist der Bewusstseinszustand. Das ist das Wesentliche.

Dalai Lama