Vom tapferen Schneider · Ludwig Bechstein · Märchen · Tapferkeit
Es war einmal ein Schneider, der lebte in der Stadt Romadia. Er hatte einmal, da er arbeitete, einen Apfel neben sich liegen. Auf diesen setzten sich viele Fliegen, wie das im Sommer so geschehen kann, die vom süßen Geruch des Apfels angelockt waren.
Darüber erzürnte sich der Schneider sehr, nahm einen Lappen, den er eben gerade wegwerfen wollte, schlug damit auf den Apfel, und erkannte beim Hinsehen, dass er damit sieben Fliegen erschlagen hatte.
»Ei«, dachte er da bei sich, »ich bin ein Held?!« Sogleich ließ er sich eine Rüstung machen, und auf das Brustschild mit goldenen Buchstaben schreiben: Sieben auf einen Streich. Daraufhin zog er mit seiner Rüstung bekleidet auf den Gassen und Straßen umher, und die, die es sahen, meinten, der Held habe sieben Männer auf einen Streich geschlagen, und fürchteten sich sehr.
Im selben Land gab es einen König, dessen Lob weit und breit bekannt war. Zu diesem begab sich nun der faule Schneider, der gleich nach seiner großen Heldentat Nadel, Schere und Bügeleisen an den Nagel gehangen hatte.
Er trat in den Hof des Königspalastes, legte sich dort in das Gras und schlief ein. Die Hofdiener, welche dort aus- und eingingen, und den Schneider im reichen Harnisch sahen, und die Goldschrift lasen, verwunderten sich sehr. Was will den jetzt zu Friedenszeiten, dieser streitbare Mann am Hof des Königs? Sie glaubten ohne Zweifel, einen großen Herrn zu vor sich zu haben.
Die Räte des Königs, die ebenfalls den schlafenden Schneider in seiner reich ausgestatteten Rüstung gesehen hatten, berichteten seiner Majestät, ihrem allergnädigsten König, dass, insofern sich ein kriegerischer Zwiespalt ergäbe, dieser Held sicherlich ein sehr nützlicher Mann werden und dem Land gute Dienste leisten könne.
Dem König gefiel diese Rede, sandte kurzerhand nach dem geharnischten Schneider, und ließ ihn fragen, ob er denn bei ihm in Dienst treten möchte. Der Schneider antwortete, dass er deshalb ja gerade gekommen zu sein, und er bitte ihre Königliche Majestät, wenn er gebraucht werden würde, ihn allergnädigst in Dienst zu nehmen.
Der König nahm ihn sodann auf und stellte ihm eine stattliche Wohnung mit vielen Zimmern zur Verfügung. Auch stattete er ihn mit einer sehr gute Besoldung aus, von der das Schneiderlein, ohne etwas tun zu müssen, herrlich und in Freuden leben konnte.
Aber es währte nicht lange, da wurden die übrigen Ritter des Königs, die nur ein karges Auskommen hatten, dem guten Schneider gram, und hätten zu gerne gewusst, beim Teufel nochmal, wer denn er eigentlich wäre.
Sie fürchteten ihn aber auch, zumal weil sie nichts genaues von ihm wussten und auch uneins waren, wenn sie ihm Widerstand leisten wollten, er ihrer vielleicht sieben auf einen Streich hätte totschlagen können. Am liebsten hätten sie ihn einfach nur raus gebissen. Und so überlegten sie täglich und stündlich, wie sie den neuen Kriegsmann auf einfachste Weise los werden könnten.
Da aber ihr Verstand und ihr Scharfsinn leider etwas zu kurz zugeschnitten war, wie ihre Röcke eben auch, fanden sie keine richtig gute List, den Helden vom Hof des Königs zu verjagen. Zuletzt einigten sie sich dann untereinander, alle zugleich vor den König zu treten, und um Urlaub oder Entlassung zu bitten. Und das taten sie auch.
Als der gute König hörte, dass alle seine treuen Diener ihn nur wegen eines einzigen Mannes verlassen wollten, wurde er sehr traurig, und wünschte, dass er den Helden doch niemals gesehen hätte. Aber er scheute sich auch, diesen wegzuschicken, weil er ebenfalls fürchtete, dass von diesem der ganze Hof hätte vernichtet werden können und hernach auch das ganze Königreich dem schrecklichen Krieger gehören würde.
Daher suchte der König einen Ausweg zu finden, was getan werden müsse, um alles gütlich abzutun und zum Besten zu lenken. Zuletzt fiel ihm eine List ein, mit welcher er meinte, den Kriegsmann, den niemand für einen Schneider hielt, los zu werden. Er sandte nach dem Helden und sprach zu ihm, dass man auf dem Schloss vernommen hätte, kein gewaltigerer und stärkerer Held sei auf der Erde zu finden, wie der, der sieben auf einen Streich erledigt hätte.
Nun aber würden im nahen Wald zwei Riesen hausen, die im ganzen Land großen Schaden anrichteten mit Rauben, Morden, Sengen und Brennen. Man könne ihnen weder mit Waffen noch sonst wie beikommen, denn sie würden alles kurz und klein schlagen. Würde der Held es aber fertig bringen, die Riesen zu töten, solle er des Königs Tochter zur ehelichen Gemahlin, und das halbe Königreich zur Aussteuer erhalten. Auch wolle er ihm, als König, hundert Reiter zur Hilfe gegen die Riesen mitgeben.
Auf diese Rede des Königs hin wurde dem Schneiderlein ganz wohl zu Mute und er dachte schon daran, bald des Königs Tochter zu heiraten und ein halbes Königreich zur Aussteuer empfangen zu können. So sprach er denn auch ganz keck: er wolle gern dem König, seinem allergnädigsten Herrn, zu Diensten stehen, und die Riesen töten, und dies auch ohne die Hilfe der hundert Reiter zu vollbringen wissen.
Darauf hin begab er sich zum besagten Forst, hieß die hundert Reiter, die ihm auf des Königs Befehl gefolgt waren, vor dem Wald warten, trat in das Dickicht, und lugte umher, ob er die Riesen irgendwo sehen könne. Und endlich, nach langem Suchen, fand er die beiden unter einem Baum schlafend, und so laut schnarchend, dass die Äste an den Bäumen, wie vom Sturmwind gebogen, hin- und her rauschten.
Der Schneider besann sich nicht lange, las schnell ein paar Steine auf, stieg auf den Baum, darunter die Riesen lagen, und warf einen Stein auf die Brust des ersten Riesen. Dieser erwachte und fragte ganz zornig seinen Mitgesellen, warum er ihn denn schlagen würde?
Der andere Riese entschuldigte sich bestens, so gut er es vermochte, er habe nicht mit Wissen geschlagen, es könnte höchstens so im Schlaf geschehen sein. Als sie dann wieder einschliefen, nahm der Schneider einen zweiten Stein, welchen er auf die Brust des anderen Riesen warf. Dieser erzürnte nicht minder und fragte seinen Kameraden, warum er ihn bewerfe? Der aber wollte auch nichts davon wissen.
Als den beiden Riesen nach einigem Zanken dann die Augen wieder zugegangen waren, warf der Schneider Steine auf die Brust beider Riesen. Diese konnten sich nun nicht mehr länger beherrschen, und schlugen wild auf einander ein.
Sie sprangen sodann beide auf, rissen Bäume aus der Erde und ließen aber zum Glück den Baum stehen, worauf der Schneider saß. Dann schlugen sie mit den Bäumen so heftig aufeinander ein, bis sie sich gegenseitig bewusstlos geschlagen hatten und tot auf der Erde lagen.
Als der Schneider von seinem Baum sah, dass die beiden Riesen sich nicht mehr rührten, fühlte er sich noch mutiger denn je zuvor, stieg fröhlich vom Baum herab, fügte mit seinem Schwert noch jedem Riesen eine kleine Wunde zu und ging frohgemut aus dem Wald hinaus zu den Reitern. Diese fragten ihn, ob er denn die Riesen entdeckt oder ob er sie gesehen habe? »Ja«, antwortete der Schneider, »entdeckt, gesehen und alle zwei sind tot geschlagen. Ich habe sie unter einem Baum liegen lassen.«
Das kam den Reitern gar wunderlich vor. Sie konnten und wollten es nicht glauben, dass ein einziger Mann so unverletzt von den Riesen zurück kommen konnte, und diese auch noch tot geschlagen habe. Deshalb ritten sie selbst in den Wald, dieses Wunder zu sehen und fanden es tatsächlich auch so vor, wie der Schneiderheld es gesagt hatte.
Jetzt waren die Reiter noch mehr verwundert und empfanden gar grauslichen Schrecken. Es war ihnen noch übler zu Mute, als zuvor. Sie fürchteten, der Sieger könnte nun auch sie alle miteinander umbringen, wenn er ihnen nicht gut gesinnt wäre. Also ritten sie schnellstens heim und berichteten dem König alles das, was sie gesehen hatten.
Als der Schneider sodann wieder zum König kam, seine Tat bekundete und die Königstochter samt dem halben Königreich begehrte, reute den König sein Versprechen sehr, das er dem großen unbekannten Kriegsmann gegeben hatte. Jetzt, da die Riesen aber tot waren und keinen Schaden mehr anrichten konnten, musste er sich weiter etwas einfallen lassen, wie er den Helden wieder los werden könnte. Er war ja auch nicht bereit, ihm einfach nur so seine Tochter zu geben.
Daher sprach er zum Schneider, dass es leider in einem anderen Wald noch ein Einhorn gäbe, das den Fischen und den Leuten großen Schaden zufüge. Er bitte ihn deshalb, dieses wilde Tier noch zu fangen, und sobald er dieses vollbracht hätte, er ihm seine Tochter zur Frau geben wolle.
Der gute Schneider war damit zufrieden, nahm einen Strick, ging hin zu jenem Wald, wo das wilde Einhorn hauste, und befahl seinen Begleitern wieder, draußen vor dem Wald zu warten. Er wolle allein hineingehen und allein die Tat vollbringen, wie er es gegen die zwei Riesen eben auch allein und ohne andere Hilfe getan habe.
Als der Schneider dann eine Weile im Walde wieder umher spaziert war, erblickte er plötzlich das Einhorn, das gegen ihn bereits in vollem Anlauf war und mit vorgestrecktem Horn auf ihn zu lief und ihn bestimmt auch töten wollte.
Das Schneiderlein aber war klever genug, wartete eine kurze Weile, bis das Einhorn ganz nahe an ihn heran gekommen war, und als es dann schon ganz nahe bei ihm war, sprang er rasch hinter den Baum, vor dem er gerade gestanden hatte. Da lief das Einhorn, das im vollen Rennen war und nun nicht mehr anhalten konnte, mit vollem Lauf gegen den Baum, den es mit seinem spitzen Horn beinahe durchbohrt hätte, und blieb darin stecken.
Jetzt trat der Schneider, als er das Einhorn am Baum zappeln sah, wieder hinter dem Baum hervor, schlang dem Einhorn den mitgenommenen Strick um den Hals, band es am Baum fest, ging wieder zu den Jagdgesellen hinaus, und berichtete diesen seinen Sieg über das wilde Einhorn.
Abermals trat das tapfere Schneiderlein nach dieser Tat vor den König und brachte ihm die Meldung von der glücklichen Erfüllung des königlichen Auftrags. Bescheiden erinnerte er ihn an das königliche zweimalige Versprechen. Darüber überkam den König aber eine über alle Maßen tiefe Traurigkeit, wusste er ja nicht mehr was zu tun sei, da der Held seine Tochter begehrte, die er doch nicht abgeben wollte.
Daher trug er wiederum dem großen Kriegsmann eine Aufgabe vor. Er solle doch auch noch das grausame Wildschwein, das im dritten Wald leben würde und alles verwüste, einfangen. Und sobald er auch dieses vollbracht habe, wolle er ihm endlich ganz bestimmt seine Tochter ohne allen Verzug zur Frau geben. Auch wolle er ihm seine ganze Jägerei dazu zur Hilfe beiordnen.
Der Schneider zog also zum dritten Mal, nicht sonderlich erbaut von des Königs abermaligem Begehren, mit den Jagdgesellen zum besagten Forst, und befahl auch dieses Mal wieder, als sie dort ankamen, dass alle außer ihm draußen zu bleiben haben. Darüber waren die Jäger auch ganz froh und zufrieden, denn das Wildschwein hatte sie schon öfter dermaßen wild angegriffen, dass sie auf ein Wiedersehen mit dem Ungeheuer nicht erpicht waren.
Sie danken dem Schneider aufrichtig, dass er sich allein in die große Gefahr begebe und sie in Numero Sicherheit draußen warten lasse. Der Schneider war sodann noch nicht lange in den Wald getreten, als er auch schon das Wildschwein entdeckte, das seiner ebenfalls ansichtig war. Das Tier stürzte nun umgehend mit schäumendem Rachen und wetzenden Hauern auf ihn zu und wollte ihn auch gleich zu Boden rennen. Des Schneiders Herz erzitterte, und schnell sah er sich nach einer Rettung um.
Zum Glück stand da eine alte verfallene Waldkapelle, und da der Schneider nahe dabei stand, sprang er schnell mit einem gewaltigen Satz hinein, aber der Tür gegenüber auch gleich wieder mit einem Luftsprung durch das Fenster hinaus, worin Gott sei Dank keine Glasscheiben mehr waren. Da ihm die Wildsau aber unmittelbar gefolgt war und sich nun in der leeren Kapelle befand, dort niemanden sah und gar fürchterlich umher rumorte, lief der Schneider schnellstens um das Gebäude herum, warf eiligst die Türe zu, und sperrte so das grausame Wildtier in das Kirchlein ein.
Alsdann ging er wiederum zu seinen Jagdgesellen und zeigte ihnen seine Tat an. Diese kamen hinzu, fanden die Sache genau so wie er es geschildert hatte und ritten mit abermals großer Verwunderung heim, dem König Bericht zu erstatten. Ob nun die Nachricht vom abermaligen glückhaften Sieg des heldenhaften Kriegsmannes den König mehr froh oder mehr traurig machte, vermag ein jeder an dieser Stelle selbst leicht zu ermessen.
Der König konnte nun nicht mehr aus und musste endlich dem Schneider seine Tochter zur Frau geben, oder fürchten, dass dieser mit seiner überaus großen Heldenkraft, wovon er drei so erstaunliche Proben bestanden hatte, sich gegen ihn selbst wenden würde. Doch zweifelsohne, hätte der König gewusst, dass der Held nur ein Schneider war, so hätte er ihm bestimmt nicht seine Tochter zur Frau gegeben.
Ob nun der König einem Mann ohne große Herkunft seine Tochter mit kleiner oder mit großer Bekümmernis, gern oder ungern gab, danach fragte der Schneider nicht. Genug, er war stolz und froh, der Mann der Königstochter geworden zu sein und das halbe Königsreich bekommen zu haben. So wurde die Hochzeit auch nicht mit allzu großer Freudigkeit von königlicher Seite begangen. Aber aus einem Schneider wurde ein richtiger König.
Als dann eine kleine Zeit vergangen war, hörte die junge Königin, wie ihr Gemahl im Schlaf einmal redete, und vernahm deutlich die Worte: »Knecht, mache mir das Wams – flicke mir die Hosen – spute dich – oder ich schlage dir das Maßband über die Ohren!« Das kam der jungen Königsgemahlin nun sehr verwunderlich vor und bald merkte sie auch, dass ihr Gemahl kein Ritter sondern nur ein Schneider war. Sie berichtete daher dies alles ihrem Vater, dem alten König und bat ihn, er möge sie doch von diesem Mann befreien.
Die Rede der Tochter durchschnitt das Herz des Königs, und dass er seine einzige Tochter einem Schneider hat antrauen müssen, belastete ihn sehr. Er tröstete sie auf das beste, und sagte, sie solle nur in der nächsten Nacht die Schlafkammer öffnen. Vor der Tür sollten etliche Diener stehen, und wenn sie ebenfalls solche Worte vernehmen würden, sollten die Diener hinein gehen und den Mann umbringen.
Da stimmte die junge Frau zu und versprach auch so zu handeln. Nun hatte aber der König einen Waffenträger am Hof, der war dem Schneider zugetan, und der hatte des Königs untreue Rede gehört. Dieser eilte daher schnellstens zum jungen König und eröffnete ihm das schwere Urteil, das über ihn ergangen und gefällt worden war. Auch bat er ihn, er möge sich seines Lebens nach besten Kräften wehren.
Der junge Schneider-König sprach ihm wegen seines Warnens großen Dank aus, und er wisse wohl, was in dieser Sache zu tun sei. Wie nun die Nacht gekommen war, begab sich das junge Königspaar zur gewohnten Zeit zur Nachtruhe und bald tat das Schneiderlein auch so, als ob er fest schliefe. Da stand die junge Frau heimlich auf und öffnete die Tür, dass die draußen stehenden Diener alles hören konnten, worauf sie sich wieder ganz still niederlegte.
Nach einer Weile begann der junge König sodann wie im Schlaf zu reden, aber mit so heller und lauter Stimme, dass die draußen vor der Kammer alles wohl hören konnten: »Knecht, mach mir die Hosen – putz mir das das Wams, oder ich will dir das Ellenmaß über die Ohren schlagen. Ich hab sieben auf einen Streich tot geschlagen, zwei Riesen hab ich umgebracht, das Einhorn und auch die Wildsau hab ich gefangen! Wie sollte ich mich wegen dieser paar Diener, die da jetzt draußen vor der Kammer stehen, fürchten?«
Als die Diener vor der Kammer diese Worte hörten, suchten sie nicht anders, als wenn tausend Teufel hinter ihnen her wären, das Weite. Keiner wollte einer sein, der sich jemals wieder an den Schneider wagte. Und so war und blieb das tapfere Schneiderlein sein Lebtag lang ein König bis an sein Lebens Ende.
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Autor: Ludwig Bechstein
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Die Bescheidenheit ist eine Eigenschaft, die vom Bewusstsein der eigenen Macht herrührt.
Paul Cézanne