Goldmarie und Pechmarie · Ludwig Bechstein · Märchen
Es war einmal eine Witwe, die hatte zwei Töchter, ihre eigene Tochter und eine Stieftochter; beide hießen Maria.
Die eigene Tochter war gar nicht gut und fromm, dagegen war die Stieftochter ein bescheidenes, sittiges Mädchen, das aber gar viele Kränkungen und Zurücksetzungen von Mutter und Schwester erdulden musste.
Doch sie war stets freundlich, tat die Küchenarbeiten unverdrossen, und weinte nur manchmal heimlich in ihrem Zimmer, wenn sie von Mutter und Schwester so viel Unbilliges zu leiden hatte.
Aber bald war sie dann allemal wieder heiter und frischen Mutes, und sprach zu sich selbst: »Sei ruhig, der liebe Gott wird dir schon helfen.« Dann tat sie fleißig ihre Arbeit, und machte alles nett und sauber.
Ihrer Mutter aber arbeitete sie nicht immer genug; eines Tages sagte diese sogar: »Maria, ich kann dich nicht länger zu Hause behalten, du arbeitest wenig und isst zu viel, und deine eigene Mutter hat dir kein Vermögen hinterlassen, auch dein Vater nicht, es ist alles mein, und ich kann und mag dich nicht länger ernähren. Daher musst du ausgehen, dir einen Dienst bei einer Herrschaft suchen.«
Und sie buk dann aus Asche und Milch einen Kuchen, füllte einen Krug mit Wasser, gab beides der armen Maria und schickte sie aus dem Hause.
Maria war sehr betrübt ob dieser Härte; doch sie schritt mutig durch die Felder und Wiesen, und dachte: es wird dich schon jemand als Magd aufnehmen, und vielleicht sind fremde Menschen gütiger als die eigene Mutter. Als sie Hunger fühlte, setzte sie sich ins Gras nieder, zog ihren Aschenkuchen hervor und trank aus ihrem Krug, und viele Vögel flatterten herbei, pickten an ihrem Kuchen, und sie goss Wasser in ihre Hand und ließ die munteren Vögel trinken.
Und da plötzlich verwandelte sich ihr Aschenkuchen in eine Torte und ihr Wasser in köstlichen Wein. Gestärkt und freudig zog die arme Maria weiter, und kam, als es dunkel wurde, an ein seltsam gebautes Haus, davor waren zwei Tore, eins sah pechschwarz aus, das andere glänzte von purem Gold.
Bescheiden ging Maria durch das minder schöne Tor in den Hof und klopfte an die Haustür. Ein Mann von schrecklich wildem Ansehen tat die Türe auf und fragte barsch nach ihrem Begehren. Sie sprach zitternd: »Ich wollte nur fragen, ob Ihr nicht so gütig sein möchtet, mich über Nacht zu beherbergen?« und der Mann brummte: »Komm herein!«
Sie folgte ihm, und bebte noch mehr zusammen, als sie drinnen im Zimmer nichts weiter sah und hörte als Hunde und Katzen, und deren abscheuliches Geheul. Es war außer dem wilden Thürschemann (so hieß dieser Mensch) niemand weiter im ganzen Haus.
Nun brummte der Thürschemann der Maria zu: »Bei wem willst du schlafen, bei mir oder bei Hunden und Katzen?« Maria sprach: »Bei Hunden und Katzen.« Da musste sie aber gerade neben ihm schlafen, und er gab ihr ein schönes weiches Bett, dass Maria ganz herrlich und ruhig schlief.
Am Morgen brummte Thürschemann: »Mit wem willst du frühstücken, mit mir oder mit Hunden und Katzen?« Sie sprach: »Mit Hunden und Katzen.« Da musste sie mit ihm trinken, Kaffee und süßen Rahm. Wie Maria fortgehen wollte, brummte Thürschemann abermals: »Zu welchem Tor willst du hinaus, zum Goldtor oder zum Pechtor?« und sie sprach: »Zum Pechtor.«
Da musste sie durchs goldene gehen, und wie sie hindurchging, saß Thürschemann oben auf und schüttelte so derb, dass das Tor erzitterte und Maria ganz von Gold überdeckt war, das vom Goldtor auf sie herab fiel.
Nun ging sie wieder heim, und ins elterliche Haus eintretend kamen ihre Hühner, die sie sonst immer gefüttert, ihr freudig entgegen geflogen und gelaufen, und der Hahn schrie: »Kikeriki, da kommt die Goldmarie! Kikeriki!«
Und ihre Mutter kam die Treppe herunter und knixte so ehrfurchtsvoll vor der goldenen Dame, als wenn es eine Prinzessin wäre, die ihr die Ehre ihres Besuches schenkte. Aber Maria sprach: »Liebe Mutter, kennst du mich denn nicht mehr? Ich bin ja die Maria.«
Jetzt kam auch die Schwester ganz erstaunt und verwundert, wie die Mutter, und beide voll Neid, und Maria musste erzählen, wie wunderbar es ihr ergangen, und wie sie zu dem Gold gekommen war.
Nun nahm ihre Mutter sie wieder auf, und hielt sie auch besser wie zuvor, und Maria wurde von jedermann geehrt und geliebt. Bald fand sich auch ein braver junger Mann, der Maria als Gattin heimführte und glücklich mit ihr lebte.
Der anderen Maria aber wuchs der Neid im Herzen, und sie beschloss, auch fortzugehen und übergoldet wiederzukommen. Ihre Mutter gab ihr süßen Kuchen und Wein mit auf die Reise, und wie Maria davon aß und Vögel geflogen kamen, um auch mit zu schmausen, jagte sie diese ärgerlich fort.
Ihr Kuchen aber verwandelte sich unvermerkt in Asche, und ihr Wein in mattes Wasser. Am Abend kam Maria ebenfalls zu den Toren Thürschemanns und sie ging stolz durch den goldenen hinein, und klopfte an die Haustür. Wie Thürschemann auftat und nach ihrem Begehren fragte, sagte sie schnippisch: »Nun, ich will hier übernachten.«
Und Thürschemann brummte: »Komm herein!« Dann fragte er auch sie: »Bei wem willst du schlafen, bei mir oder bei Hunden und Katzen?« Sie sagte schnell: »Bei Euch, Herr Thürschemann!« Aber er führte sie in die Stube, wo Hunde und Katzen schliefen und schloss sie ein. Am Morgen war Mariens Angesicht gar hässlich zerkratzt und zerbissen.
Thürschemann brummte wieder: »Mit wem willst du Kaffee trinken, mit mir oder mit Hunden und Katzen?« »Ei, mit Euch«, sagte sie, und musste nun gerade wieder mit Katzen und Hunden trinken. Nun wollte sie fort. Thürschemann brummte abermals: »Zu welchem Tor willst du hinaus, zum Goldtor oder zum Pechtor?« und sie sagte: »Zum Goldtor, das versteht sich von selbst!«
Aber dieses wurde sogleich verschlossen und sie musste zum Pechtor hinaus, und Thürschemann saß obendrauf, rüttelte und schüttelte, dass das Tor wackelte und da fiel so viel Pech auf Maria herunter, dass sie über und über voll davon wurde.
Als nun Maria voller Wut ob ihres hässlichen Ansehens nach Hause kam, krähte der Hahn ihr entgegen: »Kikeriki, da kommt die Pechmarie! Kikeriki!« Und ihre Mutter wandte sich voll Abscheu von ihr, und konnte nun ihre hässliche Tochter nicht vor Leuten sehen lassen, die hart gestraft blieb, darum, weil sie so auf Gold erpicht war.
Goldmarie und Pechmarie · Ludwig Bechstein · Märchen
Die Vernunft ist die höchste Vereinigung des Bewusstseins und des Selbstbewusstseins.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel