Die Nachtigall im Rosengarten

Die Nachtigall im Rosengarten · Märchen aus Indien · Verlangen

In Indien lebte einst ein Mann, der Rosen sehr liebte. Deshalb hatte er auch einen Rosengarten angelegt, in dem er fast seine ganze Zeit verbrachte.

Einmal ging er wieder in seinem Garten umher und atmete den Duft seiner Rosen ein. Dabei hörte er das leise Schlagen einer Nachtigall.

Langsam ging er zu der Stelle hin, woher die schönen Töne kamen. Dort saß der braune Vogel und sang seine wundervollen Melodien.

Plötzlich erschrak der Mann. Der kleine Vogel saß nämlich auf seinem liebsten Rosenstrauch und hatte bereits an einigen Knospen geknabbert und sie beschädigt. Auch lagen überall bunte Blütenblätter herum.

»Das ist ja schlimm!«, dachte der Mann. »Bald gibt es keine unbeschädigten Blüten mehr, und meine Freude ist auch vorbei. Ich muss am besten sofort etwas unternehmen.«

Schnell war der Entschluss gefasst und an einer freien Stelle im Garten breitete der Mann ein Netz aus und streute eine Handvoll Körner darauf. Und tatsächlich: Kurz darauf flog die Nachtigall dorthin, um sich an dem Futter zu laben.

Kaum hatte sie sich arglos auf dem Netz niedergelassen, war sie auch schon gefangen. Verzweifelt versuchte sie sich zu befreien, doch alles Flattern und Hüpfen half ihr nichts.

Im Nu war der Besitzer des Gartens zur Stelle und drohte mit zorniger Miene: »Dir kann jetzt nichts mehr helfen, du Vogel, ich werde dich auf der Stelle töten!«

In ihrer Todesangst blieb der Nachtigall nichts anderes übrig, als an die besseren Seiten des Wütenden zu appellieren und ihn inständig um Gnade zu bitten.

»Willst du mich wirklich wegen dieser paar zerzausten Blüten töten und mich aller künftigen Freuden und meines Lebens berauben, nur weil ich dir einmal Ärger bereitet habe?«

Bei diesen Worten wurde der Rosenfreund nachdenklich, seine Aufregung schien zu verfliegen und nach einigem Zögern antwortete er: »Du hast recht, dich dafür zu töten, wäre ohne jedes Maß. Wenn du mir aber versprichst, von nun an alle Blumen zu verschonen, will ich dir die Freiheit wiedergeben.«

So einigten sich die beiden und die Nachtigall wurde aus dem Netz befreit. Erleichtert wollte sie schon wegfliegen, doch dann hielt sie inne und sagte: »Weil du zu mir so gnädig warst, will ich dir auch einen Gefallen tun. Du sollst wissen, dass in deinem Garten unter dem Orangenbaum ein Schatz vergraben liegt.«

Überrascht und ungläubig holte der Mann schnell einen Spaten und begann unter dem Orangenbaum zu graben. Schon bald stieß er auf eine halb verfallene Metallkiste, die bis zum Rand mit Goldstücken gefüllt war.

Es dauerte eine Weile, bis der Mann sich von dieser Überraschung erholt hatte und wieder sprechen konnte.

»Sag mir, liebe Nachtigall, das Netz auf der Erde, mit dem ich dich gefangen habe, hast du nicht gesehen! Vom Schatz aber hast du gewusst, dass er unter der Erde verborgen lag. Wie ist das möglich?«

»Das ist ganz einfach«, antwortete der Vogel. »Ich habe mich nach dem ausgestreuten Samen gesehnt und auf das Netz nicht geachtet. Mit dem Gold kann ich nichts anfangen, es hat für mich keine Bedeutung. Deshalb waren meine Augen davon auch nicht getrübt und habe es wahrgenommen.

Die Nachtigall im Rosengarten · Märchen aus Indien · Verlangen und Verblendung

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Nachtigall im Rosengarten: Ein zauberhaftes Märchen

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Autor: Ave

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