Die Gefangenen

Die Gefangenen · Friedrich Nietzsche · Story

Eines Morgens traten die Gefangenen in den Arbeitshof: der Wärter fehlte. Die einen von ihnen gingen, wie es ihre Art war, sofort an die Arbeit, andere standen müssig und blickten trotzig umher.

Da trat einer vor und sagte laut: »Arbeitet, so viel ihr wollt oder tut nichts: es ist alles gleich. Eure geheimen Anschläge sind ans Licht gekommen, der Gefängniswärter hat euch neulich belauscht und will in den nächsten Tagen ein fürchterliches Gericht über euch ergehen lassen. Ihr kennt ihn, er ist hart und nachträgerischen Sinnes.«

»Nun aber merkt auf: ihr habt mich bisher verkannt: ich bin nicht, was ich scheine, sondern viel mehr: ich bin der Sohn des Gefängniswärters und gelte alles bei ihm. Ich kann euch retten, ich will euch retten; aber, wohlgemerkt, nur diejenigen von euch, welche mir glauben, dass ich der Sohn des Gefängniswärters bin; die übrigen mögen die Früchte ihres Unglaubens ernten.«

»Nun«, sagte nach einigem Schweigen ein älterer Gefangener, »was kann dir daran gelegen sein, ob wir es dir glauben oder nicht glauben? Bist du wirklich der Sohn und vermagst du das, was du sagst, so lege ein gutes Wort für uns alle ein: es wäre wirklich recht gutmütig von dir. Das Gerede von Glauben und Unglauben aber lass beiseite!«

»Und«, rief ein jüngerer Mann dazwischen, »ich glaub’ es ihm auch nicht: er hat sich nur etwas in den Kopf gesetzt. Ich wette, in acht Tagen befinden wir uns gerade noch so hier wie heute, und der Gefängniswärter weiß nichts.«

»Und wenn er etwas gewusst hat, so weiß er’s nicht mehr», sagte der letzte der Gefangenen, der jetzt erst in den Hof hinab kam, »der Gefängniswärter ist eben plötzlich gestorben. «

»Holla«, schrien mehrere durcheinander, »holla! Herr Sohn, Herr Sohn, wie steht es mit der Erbschaft? Sind wir vielleicht jetzt deine Gefangenen?«

»Ich habe es euch gesagt«, entgegnete der Angeredete mild, »ich werde jeden freilassen, der an mich glaubt, so gewiss als mein Vater lebt.«

Die Gefangenen lachten nicht, zuckten aber mit den Achseln und ließen ihn stehen.

Die Gefangenen · Friedrich Nietzsche · Story

Das Glück ist die Vielfalt unserer Bewusstseinsinhalte.

Samuel Johnson