Der Zauberer von Alderley

Der Zauberer von Alderley · Märchen aus England · Midlands

Einmal, vor langer Zeit, ritt ein Bauer von Mobberley über den Höhenzug, der Alderley Edge heißt, nach Macclesfield, wo er ein Pferd verkaufen wollte.

Es war im Herbst. Der Himmel war grau, und ein dünner Regen fiel. Wie der Mann nun so dahin ritt, überlegte er, wie viel Geld er für das Tier wohl werde erlösen können. Er war sicher, dass man ihm auf dem Markt für sein schneeweißes Pferd einen guten Preis zahlen wird.

Plötzlich, als er an der Stelle vorbei kam, die das Diebesloch genannt wird, erhob sich eine dunkle Gestalt. Es war ein sehr großer, alter Mann, der einen langen schwarzen Mantel trug. Im Regen und Nebel war die Gestalt nur undeutlich zu erkennen.

»Halt«, rief der Fremde in so eindringlichem Ton, dass der Bauer sofort sein Pferd zügelte.

»Ich weiß, wo du hin willst und was du vorhast«, sagte der Fremde. »Den Weg kannst du dir sparen. Du brauchst nicht weiter zu reiten. Ich kaufe dir dein Pferd ab.«

»Und wie viel willst du mir zahlen?« fragte der Bauer, der auf ein gutes Geschäft aus war. Der Fremde nannte einen Preis, aber dem Bauern kam es viel zu wenig vor, also griff er wieder nach den Zügeln und sprach: »Ach was, aus unserem Handel wird nichts. Ich weiß, wo ich mehr dafür kriege. Ich reite lieber auf den Markt nach Macclesfield.«

»Sei doch vernünftig«, sagte der Fremde, »niemand wird dir dort jetzt noch ein Angebot machen. Du kannst dir den Ritt wirklich ersparen. Ich sage dir vorher, dass wir uns, wenn du auf dem Heimweg bist, hier wieder treffen werden, und dann wirst du froh sein, wenn du mir das Pferd verkaufen kannst.«

Der Bauer achtete nicht auf diese Worte und ritt weiter. Der Fremde sprang zur Seite und schien verschwunden zu sein. Der Bauer überlegte, wer dieser Fremde nur gewesen sein könnte. Woher hatte er gewusst, dass das Pferd verkauft werden sollte? Das war alles sehr seltsam. Dem Bauern wurde es etwas unbehaglich, aber bis er Macclesfield erreichte, hatte er seine Sorgen vergessen.

Der Ort war voller Menschen, und es ging dort recht lebhaft zu. Die Markt war in vollem Gang. Es gab Clowns und Quacksalber, die ihre Wundermedizinen verkauften. Es gab alle Arten von Marktständen, und natürlich gab es einen Pferdemarkt.

Der Bauer stellte seinen Schimmel zum Verkauf aus. Leute kamen, sahen das Tier von allen Seiten an, aber zum Erstaunen des Mannes machte ihm niemand ein Angebot. Der Bauer setzte den Preis herab, aber seinen Schimmel wollte dennoch keiner kaufen.

Dem Bauern war das unbegreiflich. Es war so ein schönes Tier. Und es war ein vernünftiger Preis. Was hatte er denn falsch gemacht? Hatte das alles vielleicht doch etwas mit dem geheimnisvollen Fremden zu tun?

Endlich, als die Abenddämmerung kam, machte sich der Bauer wieder auf den Heimweg. Zuerst hatte er vor, nicht den Weg einzuschlagen, der über den Höhenzug führte, aber fast gegen seinen Willen fand er sich dann doch genau wieder auf der Straße, die er schon auf dem Hinweg benutzt hatte.

»Immerhin«, überlegte er, während er weiter ritt, »sollte ich dem Unbekannten noch einmal begegnen, so bekomme ich wenigstens etwas für das Pferd.« Er brauchte das Geld nämlich dringend für den Pachtzins.

Die Stelle, an der er den Fremden getroffen hatte, lag unter einem großen Felsen in der Nähe von sieben großen Fichten. Je näher der Bauer dieser Stelle kam, desto langsamer ritt er. Und siehe, wie angekündigt stand da der große Mann. Er lehnte in seinem Mantel gegen den Felsen, und über sein Gesicht fiel ein Schatten.

»Gott steh mir bei«, dachte der Bauer, »vielleicht ist der Mann ein Räuber. Wär ich doch lieber einen anderen Weg geritten. Doch jetzt ist es zu spät.«

Der Fremde trat vor und sprach: »Folge mir, du wirst einen anständigen Preis für deinen Schimmel bekommen.«

Vor Angst zitternd, gehorchte der Bauer. Nun begann eine Reise, die der gute Mann so schnell nicht vergaß. Der Fremde führte ihn über wildes Heideland und durch entlaubte Wälder. Der Bauer stolperte oft. Er zog den Schimmel am Halfter hinter sich her. Zweige schlugen ihm ins Gesicht. Er bekam Blasen an den Füßen und hatte große Angst.

Schließlich blieb der Fremde vor einem hohen Felsen stehen. Er schien dem Bauern jetzt noch größer als zuvor. Sein Mantel bauschte sich. Darunter zog er einen Stab hervor und fuhr damit ein paarmal durch die Luft.

Der Bauer erkannte jetzt ein großes Eisentor, und hinter dem Tor hörte er Pferde wiehern. Donner rollte, und die Torflügel sprangen auf. Der Bauer wusste jetzt, dass der Fremde kein Mensch von Fleisch und Blut, sondern ein Zauberer war.

Das weiße Pferd tänzelte voller Schrecken auf den Hinterbeinen, und der Bauer rief ängstlich dem Fremden zu: »Verschone mein Leben. Das Pferd kannst du gerne haben!«

»Hab keine Angst«, sagte der Zauberer, »tritt ruhig ein, und du wirst etwas zu sehen bekommen, was keines Sterblichen Auge je zuvor gesehen hat.«

Er schritt durch das Tor, und der Bauer folgte ihm und führte das Pferd am Halfter mit. Sie kamen jetzt in eine große Höhle. Von der Decke herab hingen Kristalle, die in einem seltsamen Licht funkelten und glänzten. Am Boden aber lagen überall Männer in Ritterrüstungen, ihre Schwerter und Schilde griffbereit neben sich, und alle schliefen. Auch ihre Pferde lagen bei ihnen, und alle Pferde hatten ein schneeweißes Fell.

Kein Laut war zu hören. Die Schläfer regten sich nicht, obwohl die Schritte des Fremden und des Bauern mächtig hallten. In einer Ecke der Höhle lagen ganze Berge von Goldmünzen und Edelsteinen. Dort blieb der Zauberer stehen und sagte zu dem Bauern: »Bedien dich hier nur. Nimm soviel, wie dir als Preis für das Pferd gerecht erscheint. Ich brauche weiße Pferde. Diese Männer reiten nur Schimmel.«

»Wer sind diese Männer, und warum schlafen sie?« fragte der Bauer flüsternd, weil er immer noch fürchtete, er könne die Schläfer wecken und sie würden dann über ihn herfallen.

»Es sind Krieger«, erklärte ihm der Zauberer, »die hier bis zu einem bestimmten Tag liegen und schlafen, und wenn sie aufwachen, werden sie hinab in die Ebene steigen und ihr Land retten, denn dann wird dort eine entscheidende Schlacht geschlagen werden. Nie wirst du oder sonst jemand die Höhle hinter der eisernen Pforte wiedersehen. Geh jetzt heim, und Glück auf deinem Weg!«

Der Zauberer führte den Bauern durch Höhlen und Gänge zum Tor zurück. Und als er an seinem Pferd vorüber kam, sah er, dass es auch schon in den Zauberschlaf verfallen war. Erleichtert schlüpfte der Bauer durch das Tor, und hinter ihm sprang es mit einem Krachen zu, das über den ganzen Höhenzug hin zu vernehmen war.

Der Bauer wandte sich erschreckt um. Aber dort, wo eben noch die beiden Torflügel zu sehen gewesen waren, erhob sich jetzt wieder eine kahle Felswand. Noch einmal hörte er aus der Ferne Pferde wiehern. Dann war alles still.

Als der Bauer heim kam und seine Geschichte erzählte, gab es kaum jemanden, der ihm glauben wollte. Allerdings machten sich die Leute aus der Gegend zu zweit oder zu dritt auf, um nach dem Eisentor zu suchen.

Gierig dachten sie an die großen Schätze, die in der Höhle lagen. Aber keiner konnte den Platz je finden, an dem der Bauer das Innere des Berges betreten hatte und auch wieder heraus gekommen war.

Und so schlafen dort die Krieger immer noch ungestört, bis eines Tages die Zeit gekommen ist, um zu der großen Schlacht auszureiten und ihr Land vor den Feinden zu retten.

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Der Zauberer von Alderley · Märchen aus England · Midlands · Einmal, vor langer Zeit, ritt ein Bauer von Mobberley nach Macclesfield.

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