Verteidigung der Freiheit

Verteidigung der Freiheit · Albert Camus · Politik Essay Auszug

Verteidigung der Freiheit: Wenn wir die Rechtsbrüche und die vielfältigen Missbräuche zusammenzählen, von denen in jüngster Zeit die Rede war, können wir den Tag voraussehen, da sich in einem Konzentrationslager-Europa nur noch Gefängniswärter auf freiem Fuß befinden.

Auch sie werden sich gegenseitig ins Gefängnis stecken müssen, bis nur noch einer übrig bleibt, der zum Oberaufseher ernannt wird, und so gelangen wir zur vollkommenen Gesellschaft, in der die Probleme der Opposition, dieser Nachtmahr aller Regierungen unseres Jahrhunderts, endlich und endgültig erledigt sein werden.

 Wie eine Riesenspinne saß damals Rom im Mittelpunkt der lateinischen Welt und überzog sie mit seinem unendlichen Gewebe. 
 
Heinrich Heine

Freilich handelt es sich dabei nur um eine Prophezeiung, und obwohl in allen Ländern der Welt die Regierungen und ihre Polizei mit viel gutem Willen bemüht sind, zu diesem glücklichen Ergebnis zu gelangen, ist es Gott sei Dank noch nicht ganz so weit. Bei uns in Westeuropa steht die Freiheit offiziell noch sehr hoch im Kurs.

Am einfachsten und demzufolge verlockendsten wäre es, die Regierungen oder irgendwelche dunklen Mächte für die hässlichen Manieren im derzeitigen Europa verantwortlich zu machen. Natürlich stimmt es, dass sie schuldig sind, und zwar auf eine so undurchdringliche wie vererbte Weise, dass die Ursprünge nicht mehr entwirrt werden können.

Aber sie sind nicht allein dafür verantwortlich. Denn wenn die Freiheit immer nur die Regierungen als Zieheltern gehabt hätte, steckte sie aller Wahrscheinlichkeit auch heute noch in den Kinderschuhen oder wäre unwiderruflich unter einem Grabstein mit der Inschrift »Ein Engel im Himmel« begraben.

 Wie eine Riesenspinne sitzt heute Amerika im Mittelpunkt der westlichen Welt und überzieht sie mit ihrem unendlichen Gewebe. 
 
Maras Opa

Die Gesellschaft des Kapitals und der Ausbeutung wurde meines Wissens nie beauftragt, für Freiheit und Gerechtigkeit zu sorgen. Die Staaten sind nie in den Verdacht gekommen, in den Kellern, wo sie ihre Kunden befragen, rechtswissenschaftliche Hochschulkurse abzuhalten.

Wenn sie also unterdrücken oder ausbeuten, gehorchen sie nur ihrem Daseinszweck, und wer immer ihnen unkontrolliertes, Verfügungsrecht über die Freiheit einräumt, darf sich nicht wundern, sie alsogleich entehrt zu sehen.

Wenn die Freiheit heute erniedrigt oder in Fesseln gelegt wird, dann nicht, weil ihre Feinde Verrat geübt hätten, sondern gerade eben weil sie ihren naturgegebenen Beschützer verloren hat. Ja, die Freiheit ist Witwe; aber wir müssen der Wahrheit zuliebe hinzufügen: sie ist unser aller Witwe.

Wie kann dieser Höllenkreis durchbrochen werden? Es ist klar, dass dies nur geschehen kann, indem wir von dieser Stunde an, in uns und ringsum uns, den Wert der Freiheit wieder erneuern und nie einwilligen, dass sie – und wäre es auch nur vorübergehend – geopfert oder von unserer Forderung nach Gerechtigkeit getrennt wird.

Für uns alle kann heute nur eine einzige Parole gelten: in nichts nachgeben, was die Gerechtigkeit betrifft, und auf nichts verzichten, was die Freiheit angeht. Insbesondere sind die paar demokratischen Freiheiten, deren wir noch teilhaftig bleiben, keine leeren Illusionen, die wir uns widerspruchslos rauben lassen dürfen.

Die zwei größten Feinde der Freiheit sind Feigheit und Trägheit.

Aventine

Sie stellen genau das dar, was uns von den großen revolutionären Eroberungen der letzten Jahrhunderte verblieb. Sie sind keineswegs die Verneinung der echten Freiheit, wie so viele listige Demagogen uns dies aufschwatzen wollen.

Natürlich gibt es keine Ideal-Freiheit, die uns eines Tages mit einem Schlag geschenkt würde, so wie man am Ende seines Lebens eine Rente bezieht. Die Freiheiten müssen erkämpft werden, eine nach der anderen, und die uns verbleibenden sind Etappen, unzureichende, gewiss, aber doch Etappen auf dem Weg zu einer greifbaren Befreiung.

Wenn wir einwilligen sie abschaffen zu lassen, bringt uns das keinen Schritt weiter. Im Gegenteil, es ist ein Rückschritt, ein Rückzug, und eines Tages werden wir den Weg von neuem gehen müssen, aber dieser neue Kampf wird wiederum den Schweiß und das Blut der Menschen kosten.

Verteidigung der Freiheit · Albert Camus · Politik Essay Auszug


Wähle ein Objekt der Natur wie zum Beispiel eine Blume, einen Insekt oder einen Baum. Entspanne dich und erforsche dieses Objekt so genau, als hättest du es zuvor noch nie gesehen. Erkunde es visuell und trete mit ihm gedanklich in Verbindung, solange es deine Konzentration erlaubt.


Aventin