Der Wolf und die Tiere – Ha-Nakdan Fabel – Eid Versprechen
Der Kanzler des Löwen, der Wolf, wurde von allen Tieren verklagt, dass kein lebendiges Geschöpf vor seinem Räuberzahn sicher sei.
»Der Unersättliche«, so klagten sie, »macht den Wald zur Einöde, unsere Frauen zu Witwen und unsere Kinder zu Waisen.«
Der König zürnte daher und verwies dem Wolf seine Grausamkeit mit harten Worten.
»Das Vergangene ist nicht mehr zu ändern. Aber in Zukunft hüte dich vor Gewalttätigkeit. Begnüge dich ab sofort nur mit toten Tieren, die du auf dem Feld findest, und schwöre, dich zwei ganze Jahre alles Fleisches zu enthalten.«
Der Wolf schwur und ging von dannen.
Wenige Tage später überfiel den Wolf aber ein gar grausamer Hunger . Da sah er gerade ein schönes dickes fettes Schaf, das auf einer Wiese weidete. Nun kämpften in ihm die Gedanken, sie gingen hin und her. »Zwei Jahre kein frisches Fleisch genießen! Diese Strafe ist hart, zu hart, aber ich habe nun mal geschworen!«
»Doch aber! In jedem Jahr sind dreihundertfünfundsechzig Tage! Tag ist, wenn ich sehen, und Nacht, wenn ich nicht sehen kann! So oft ich die Augen verschließe, ist es Nacht, und wenn ich sie wieder aufmache, so ist es wieder Tag, ein ganzer Tag also!«
Blitzschnell fing er jetzt an zu blinzeln und machte die Augen zu und tat sie wieder auf. Ja, da wurde es für ihn scheinbar Nacht und auch wieder Tag. Ein Tag war scheinbar vergangen.
In diesem Sinn machte er nun schnellstens weiter, bis es für ihn siebenhundertdreißig Mal Nacht und auch wieder Tag wurde. Er zählte auch fleißig mit, damit er ja nicht zu oft blinzeln musste.
Als für ihn so augenscheinlich zwei volle Jahre vergangen waren, sprach er zu sich: »Nun, ich bin nur schlau und habe für die Sünde bereits im Voraus gebüßt!« Kurzerhand ergriff er jetzt das Schaf und würgte es.
Lehre: Die Fabel lehrt, dass ein Räuber leicht Mittel findet, den kräftigsten Eid zu vereiteln.
Der Wolf und die Tiere – Berechja ben Natronai ha-Nakdan – Fabel – Eid und Versprechen
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