Kleidung und Seele . R.M.F · Alltagspsychologie · Mode
Wer Kleidung für etwas rein Äußerliches hält, verkennt ihren wahren Charakter. Sie hat sehr wohl Charakter, denn es widerspiegelt sich in ihr die ganze Seele, der Geist inbegriffen, in all den bunten Falten und Accessoires.
Gewiss ist der Einwand richtig, dass die Höhe des Bankkontos, die Adresse eines guten Schneiders und die soziale Suggestion durch die Mode gewichtig mitreden was die Kleiderfrage betrifft. Ja, man kann sogar noch andere kulturhistorische Tatsachen ins Feld führen und den Einfluss neuer Färbemethoden, Material oder der Nähmaschine auf die Gestaltung der Kleider darlegen. All das ist richtig und will berücksichtigt sein, jedoch nur als Abzug, jenseits dessen noch reichliches Feld für die Auswirkung der Seele bleibt.
Denn so verflochten sind die Dinge des Lebens, dass die Wirkungen jener Erfindungen sofort einbezogen werden in den Ausdruck der Seele, ja manche dieser Erfindungen sind selbst Wirkungen des Ausdruckswillens, und es ist oft schwer festzustellen, ob etwa die Brokatfabrikation die pompöse Tracht der Renaissance und des Barock ermöglicht hat, oder ob man das Brokat nur erfunden hat, weil der Ausdruckswille der Zeit dahin drängte.
Das Dasein einer Erfindung allein bedingt niemals ihren Einfluss. Oft bleiben Erfindungen jahrhundertelang wirkungslos, und erst wenn sie einem bestimmten Willen oder Wollen eines Ausdrucks begegnen, werden sie lebendig und wirksam.
Und was die Behauptung betrifft, die Kleidung sei eine reine Sache des Geldes oder des Schneiders, so ist das ein Irrtum der Leute, die nicht sehen können. Nur für stumpfe Augen machen Kleider Leute. Ein guter Beobachter würde niemals einen Büchergelehrten, dem das Schicksal einen eleganten Smoking beschert hat, für einen Elegant, noch eine in Ausstaffierung wie eine Prinzessin verkleidete Bürgerin für eine Gräfin halten.
Tracht kommt von tragen und nicht von kaufen oder besitzen! Und diejenigen Sittenrichter, die über Eleganz und Schönheit der Kleidung eifern, ahnen oft gar nicht, wie viel Energie, Geist, Fantasie und Geschmack, kurz gesagt ‚Seele‘, zu diesen Äußerlichkeiten gehört.
Was die Mode anbelangt, so spielen in ihr gewiss auch Willkürlichkeiten und Zufälle mit, aber daneben ist doch sie immer Ausdruck der Seele, wenn auch nicht individueller Seelen, sondern jenes schwer fassbaren, ganze Zeiten und Völker durchwirkende überindividuellen Seelentums, das in der Kunst die Zeitstile hervor treibt, obgleich man auch vielfach mit ‚Mode‘ als Gegensatz zum ‚Stil‘, die oberflächlichen und vorüberhuschenden Kräuselungen des Zeitgeistes bezeichnet.
Alle Launen der Göttin Mode zugegeben, ganz frei ist auch sie nicht, sowenig wie andere Götter. Auch über ihr schwebt die Notwendigkeit, und keine ihrer Willkürlichkeiten kann sich dauernd durchsetzen, wenn sie nicht den ihr huldigenden Menschen gefällt, was wiederum nur dann eintritt, wenn die Göttin die unbewusst wirksamen Neigungen und Bedürfnisse der Menschen kennt.
Kreiert wird die Mode von den großen Oberbonzen des Kleiderkults nur in gleich bescheidenem Maß, wie eine Zeitung von den Redakteuren redigiert wird. In beiden Fällen gibt die eigentliche Entscheidung ein feinhöriges und feinfühliges Abspüren des Geschmacks der Massen durch die sogenannten Führer, und es sind letzten Endes auch diese Massen selbst, die führen! Ihre Gewohnheiten oder ihr Sensationsbedürfnis, ihr Geschmack oder Ungeschmack, all ihre subjektiven Einstellungen, die oft tief in der Seele verwurzelt sind, ergeben die Mode.
Es ist ein Irrtum, die Eitelkeit oder das Sensationsbedürfnis bloß als äußerlich hinzustellen: auch sie wurzeln in seelischen Untergründen, bilden oft die Fundamente von Charakteren, und keineswegs bloß bei banalen Menschen.
Kurz, wir wollen darstellen, dass die als äußerlich verschriene Kleidung allenthalben auf Innerlichkeit hinweist, wie wir glauben aufzeigen zu können, dass die Scheidung von innerlich und äußerlich, in klein und groß, in zufällig und notwendig im Reich der Seele recht oberflächlich bleibt, dass oft gerade in Äußerlichkeiten, Nebensächlichkeiten, Zufälligkeiten sich die Seele am reinsten enthüllt, und dass eben das einen Psychologen ausmacht, der auch im scheinbar Seelenlosen noch die Auswirkungen der Seele erspürt.
Wenn wir in solchem Sinn von der Kleidung sprechen, wenn wir es unternehmen, den individuellen Charakter eines Menschen aus seiner Tracht abzulesen, so meinen wir natürlich die wirklich getragene Kleidung. Es ist ein Irrtum, zu denken, wenn zehn verschiedene Menschen sich den gleichen Konfektionsanzug anschaffen, so trügen sie damit wirklich alle den gleichen Rock und hätten auch den gleichen Charakter!
Natürlich werden sie nur dann den gleichen Anzug kaufen, wenn in ihrer Seele schon sehr wesentliche Faktoren übereinstimmen, aber darüber hinaus passt sich der Rock bereits nach wenigen Tagen ihrem Leib wie ihrer Seele immer enger an.
Der Körperbau drückt sich darin aus, die Haltung, die typischen Bewegungen teilen sich dem Stoff mit, kleine Änderungen werden vorgenommen, die den Geschmack und andere seelische Eigenschaften verraten; ja nach Ordnungssinn, Reinlichkeit und Bequemlichkeit ändern sich die Formen, kurz, der Anzug erhält den Charakter seines Trägers und damit selbst einen Charakter.
Wie bei aller Symbolik darf man nicht Momentanes und Einmaliges überbetonen; die einmalige Übernahme eines Symbols kann täuschen, die dauernde Bewahrung jedoch lügt nicht. Vielleicht kann ein Mensch sich in momentaner Geschmacksunsicherheit in der Wahl seines Kleidungsaccessoires vergreifen; wenn sie nicht zu ihm passt, wird er es, auch wenn es sein Eigentum ist, nicht dauernd tragen, und trägt er es aus Gleichgültigkeit gegen Kleidungsdinge dennoch, so drückt sich dann eben dieser Charakterzug in dem Nichtpassen des Accessoires zu der übrigen Kleidung aus.
Nicht nur die bewusste Pflege der Kleidung allein ist charakteristisch, auch die bewusste oder unbewusste Vernachlässigung: kurz, wie man sich drehen und wenden mag, man kommt aus den verräterischen Kleidern nicht heraus.
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Autor: R. M. F
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Ich bin nicht meine Gedanken, Emotionen, Sinneseindrücke und Erfahrungen. Ich bin das Leben selbst. Ich bin Raum, ich bin Bewusstsein und Jetzt.
Eckhart Tolle