Herkules am Scheideweg

Herkules am Scheideweg · Tugend und Laster · Griechische Sage

Amphitryon ließ Herkules im Bogenschießen, Boxen, Ringen und Leierspielen ausbilden und der berühmte Lehrer Linos lehrte ihn die Buchstabenschrift.

Als Herkules wegen Ungehorsam einmal geohrfeigt wurde, war er darüber so erbost, dass er seinem alten Lehrer die Leier mit solcher Wucht an den Kopf schlug, dass dieser fast ums Leben gekommen wäre.

Amphitryon schickte daher Herkules aus Angst vor weiteren Gewaltausbrüchen zu den Hirten aufs Land, wo er eine glückliche Jugend verbrachte.

Als Herkules zu einem jungen Mann herangewachsen war, versammelte er all seine Gefährten und sagte zu ihnen Folgendes: »Hört, meine Freunde! Lange lebte ich nun schon bei euch und viel Zeit verwandte ich auf harte Arbeit. Nun aber ist die Zeit gekommen um nachzudenken, wie ich in Zukunft leben will und soll. Auch wenn es mir nicht leicht fällt, ich muss euch leider verlassen. Lebt wohl!«

Nachdem er sich von seinen Freunden verabschiedet hatte, ging er für viele Tage auf Reisen. Schließlich, sehr ermüdet von all den Strapazen, ließ er sich auf einem Felsen nieder und dachte über seine Zukunft nach.

Plötzlich sah er zwei Frauen herankommen. Die eine war mit einem einfachen Kleid angezogen, die andere trug ein buntes Kleid und viele goldene Schmuckstücke und schritt mit großem Stolz einher. Diese begrüßte den Herkules erst gar nicht, sondern begann sofort zu sprechen.

»Ich fühle, Herkules, dass du nicht weißt, welche Lebensweise du verfolgen sollst. Wenn du mich zur Gefährtin und Anführerin wählst, werde ich dir das angenehmste und schönste Leben bieten. Du wirst nicht mehr von Sorgen bedrängt werden, nichts Schlimmes wird passieren und alles Unglück wird von dir weichen. Sowohl von Not als auch von Arbeit wirst du in Zukunft frei sein, im Gegenteil, du wirst immer in Vergnügungen leben, allzeit gut essen, viel trinken und immer in einem weichen Bett schlafen können. Ohne Mühe wirst du überaus großen Überfluss in deinem Leben erreichen.«

Nach dieser Rede fragte Herkules die Frau, welchen Namen sie denn hätte. Jene antwortete mit ziemlich überheblicher Stimme: »Diejenigen, die mich lieben, nennen mich Vergnügen. Meine Gegner aber nennen mich Laster«.

Dann begann die andere Frau mit freundlicher Stimme zu reden: »Ich kenne deine vornehme Herkunft genau, Herkules. Deshalb hoffe ich, dass du mir folgen wirst. Ich werde dir weder falsches Vergnügen noch Überfluss versprechen. Die Menschen müssen nämlich wissen, dass ihnen von den Göttern ohne große Mühe nichts Gutes gegeben wird.

Diejenigen, die von den Göttern geliebt werden wollen, werden Ruhm durch Frömmigkeit und Arbeit erreichen. Diejenigen, die wahre Freunde haben wollen, müssen ihren Freunden nützlich sein. Diejenigen, die sich Ehre wünschen, müssen sich politisch betätigen. Diejenigen, die einen starken Körper haben wollen, müssen den Körper durch Üben kräftigen. Wenn du übrigens meinen Namen hören willst, ich werde Tugend genannt.«

Dann fügte sie noch hinzu: »Siehst du dort den engen und schwierigen Weg? Wenn du mich als Anführerin wählst, wirst du auf diesem Weg gehen müssen.«

Da lachte die andere Frau laut auf und fragte Herkules: »Nun, welchen Beschluss wirst du fassen, Herkules? Wenn du diesen langen und rauen Weg mit meinem kurzen und angenehmen Weg sorgfältig vergleichst, wird es für dich nicht schwierig sein richtig zu entscheiden. Ich glaube, dass du so viel Verstand und Begabung dein eigen nennst, den richtigen Weg zu wählen.«

Darauf sprach die Tugend: »Gestehe, Vergnügen, dass du von den Göttern vertrieben worden bist und von ehrenhaften Menschen auch nicht beachtet wirst. Niemals nämlich hast du den Menschen eine Wohltat erwiesen. Ich aber stehe bei den Unsterblichen und bei allen Menschen hoch in Ehren: Ohne mich gibt es keine wahre Freundschaft auf dieser Welt.«

An Herkules gerichtet sagte sie weiter: »Wenn du beschließt, mir zu folgen, wirst du sicherlich Anstrengungen und Lasten auf dich nehmen müssen, aber zuletzt wird dich wahre Freude erwarten.«

Wenig später waren die beiden Frauen weiter gegangen und Herkules beschloss für sich, sein Leben unter Führung der Tugend zu verbringen.

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Autor: Griechische Sage

Bewertung des Redakteurs:
4

Gehe mal wieder in einen Park oder in die freie Natur und versuche alles um dich herum verschiedene Sträucher und Gräser, Blumen, Vogelgezwitscher, Lärm, Wind, Regen oder Sonne bewusst wahrzunehmen.

Aventin