Ein reizender Abend · Erich Kästner · Einladung und Hund

Einladungen sind eine schreckliche Sache. Für die Gäste. Der Gastgeber weiß immerhin, wer ins Haus und was auf den Tisch kommen wird. Ihm ist, im Gegensatz zu mir, bekannt, dass Frau Ruckteschel, meine Nachbarin zur Linken, taub ist wie noch etwas, aber zu eitel, die kleine Schwäche zuzugeben.

Und er weiß auch, was es bedeuten soll, wenn seine Gemahlin, in vorgerückter Stunde, mit Frau Sendeweins Frühjahrshut ins Zimmer tritt und flötet: «Ein entzückendes Hütchen, meine Liebe! Setzen Sie es doch einmal auf, damit wir sehen, wie es Sie kleidet».

Also, was das bedeuten soll, weiß auch nur der Gastgeber. Die Gäste können es höchstens ahnen. Und aufbrechen.

Ach, wie schön ist es, von niemandem eingeladen, durch die abendlichen Geschäftsstraßen zu schlendern, irgendwo eine Schweinshaxe und ein wenig Bier zu verzehren und, allenfalls, mit einem fremden Menschen über den neuen Benzinpreis zu plaudern! Aber Einladungen? Nein. Dafür ist das Leben zu kurz.

Nehmen wir beispielsweise die Einladung bei Burmeesters. Vor drei Wochen. Entzückende Leute. Gebildet, weltoffen, hausmusikalisch, nichts gegen Burmeesters. Und wir wussten, wer außer uns käme. Thorn, der Verleger, mit seiner Frau, also alte Bekannte. Wir waren pünktlich.

Der Martini war so trocken, wie ein Getränk nur sein kann. Thorn erzählte ein paar Witze, weder zu alt noch zu neu, hübsch abgefangen. Lottchen sah mich an, als wollte sie sagen: «Was hast du eigentlich gegen Einladungen?»

Ja. Und dann flog die Tür auf. Ein Hund trat ein. Er musste sich bücken. So groß war er. Eine dänische Dogge, wie wir erfuhren. Lottchen dachte: «Die Freunde meiner Freunde sind auch meine Freunde», und wollte das Tier streicheln. Es schnappte zu. Wie ein Vorhängeschloss. Zum Glück ein wenig ungenau.

«Vorsicht!» sagte der Hausherr. «Ja nicht streicheln! Doktor Riemer hätte es neulich ums Haar einen Daumen gekostet. Der Hund ist auf den Mann dressiert». Frau Thorn, die auf dem Sofa saß, meinte zwinkernd: «Aber doch nicht auf die Frau».

Sie schien hierbei, etwas vorlaut, eine Handbewegung gemacht zu haben, denn schon sprang die Dogge, elegant wie ein Hannoveraner Dressurpferd, mit einem einzigen Satz quer durchs Zimmer und landete auf Frau Thorn und dem Sofa, dass beide in allen Nähten krachten.

Herr und Frau Burmeester eilten zu Hilfe, zerrten ihren Liebling ächzend in die Zimmermitte und zankten zärtlich mit ihm. Anschließend legte der Gastgeber das liebe Tier an eine kurze, aus Stahlringen gefügte Kette. Wir atmeten vorsichtig auf.

Dann hieß es, es sei serviert. Wir schritten, in gemessenem Abstand, hinter dem Hund, den Herrn Burmeester an der Kette hatte, ins Nebenzimmer. Die Suppe verlief ungetrübt. Denn der Hausherr aß keine. Als die Koteletts mit dem Blumenkohl in holländischer Soße auf den Tisch kamen, wurde das anders.

Man kann kein Kalbskotelett essen, während man eine dänische Dogge hält. «Keine Angst», sagte Herr Burmeester. «Das Tier ist schläfrig und wird sich gleich zusammenrollen. Nur eins, bitte, keine heftigen Bewegungen!»

Wir aßen wie die Mäuschen. Mit angelegten Ohren. Wagten kaum zu kauen. Hielten die Ellenbogen eng an den Körper gewinkelt. Doch das Tier war noch gar nicht müde! Es beschnüffelte uns hinterrücks. Sehr langsam. Sehr gründlich. Dann blieb es neben mir stehen und legte seine feuchtfröhliche Schnauze in meinen Blumenkohl.

Burmeesters lachten herzlich, riefen nach einem frischen Teller, und ich fragte, wo man sich die Hände waschen könne.

Als ich ein paar Minuten später, aus dem Waschraum ins Speisezimmer zurück wollte, knurrte es im Korridor. Es knurrte sehr. Mit einem solchen Knurren pflegen sich sonst größere Erdbeben anzukündigen. Ich blieb also im Waschraum und betrachtete Burmeesters Toilettenartikel. Als ich, nach weiteren zehn Minuten, die Tür von neuem aufklinken wollte, knurrte es wieder. Noch bedrohlicher als das erste Mal.

Nun schön. Ich blieb. Kämmte mich. Probierte, wie ich mit Linksscheitel aussähe. Mit Rechtsscheitel. Bürstete mir einen Hauch Brillantine ins Haar. Nach einer halben Stunde klopfte Herr Burmeester an die Tür und fragte, ob mir nicht gut sei.

«Doch, doch, aber Ihr Hündchen lässt mich nicht raus!» rief ich leise. Herr Burmeester lachte sein frisches, offenes Männerlachen. Dann sagte er, «Auf diese Tür ist das Tier besonders scharf. Wegen der Einbrecher. Einbrecher bevorzugen bekanntlich die Waschräume zum Einsteigen. Warum, weiß kein Mensch, aber es ist so. Komm, Cäsar!»

Cäsar kam nicht. Nicht ums Verrecken. Stattdessen kam Frau Burmeester. Und Lottchen. Und das Ehepaar Thorn. «Sie Armer!» rief Frau Thorn. «Der Obstsalat war himmlisch!» «Soll ich Ihnen den neuesten Witz erzählen?» fragte Thorn.

Er schien, da sich nun der Hund auf mich konzentriert hatte, bei bester Laune zu sein. Und ich? Ich gab nicht einmal eine Antwort. Sondern begann ein Sonett zu dichten. Einen Bleistift habe ich immer bei mir. Papier war ja auch da.

Zwischendurch teilte mir Herr Burmeester mit, er wolle den Hundedresseur anrufen. Irgendwann klopfte er und sagte, der Mann sei leider im Krankenhaus. Ob er später noch einmal geklopft hat, weiß ich nicht. Ich kletterte durch das leider etwas schmale und hochgelegene Fenster, sprang in den Garten, verstauchte mir den linken Fuß und humpelte heimwärts. Bis ich ein Taxi fand.

Geld hatte ich bei mir. Aber keine Schlüssel. Hätte ich vorher gewusst, was käme, hätte ich, als ich in den Waschraum ging, den Mantel angezogen. So saß ich schließlich, restlos verbittert, auf unserer Gartenmauer und holte mir einen Schnupfen.

Als Lottchen mit meinem Hut, Schirm und Mantel angefahren kam, musterte sie mich ein wenig besorgt und erstaunt. «Nanu», meinte sie. «Seit wann hast du denn einen Scheitel?»

Wie gesagt. Einladungen sind eine schreckliche Sache. Ich humple heute noch.

Ein reizender Abend · Erich Kästner · Einladung und Hund · Story

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