Die erzürnten Elfen · Märchen aus Irland · Zorn und Vergeltung
Wer sich vor Geistern in Acht nimmt, der tut immer gut daran. Sicherlich haben diese dann auch weniger Gewalt über den Menschen.
Wer aber gar keine Rücksicht auf sie nimmt oder gar nicht an sie glaubt, der handelt sehr unklug, sei es Mann, Frau oder Kind.
So heißt es mit Recht: »An guten Sitten trägt keiner schwer«, oder: »Artigkeit kostet kein Geld«; und doch gibt es Menschen, die so verstockt sind, dass sie sich jeglicher Artigkeit enthalten.
Diese können sich am Schicksal von Caroll O’Daly ein Beispiel nehmen. Das war ein junger Bursche aus Connaught, groß und stark gewachsen und in seiner Heimat gewöhnlich Teufel Daly genannt.
Er pflegte von einem Ort zum anderen zu ziehen, ohne dass irgendeine Furcht ihn zurückhielt. Er ging auch zu jeder Stunde der Nacht über einen verfallenen Kirchhof oder sonst einen Platz, wo die Elfen gerne hausten.
So begab es sich einmal, dass er in der Grafschaft Limerick umher zog und sich auf dem Weg nach der altehrwürdigen Stadt Kilmallock befand. Gerade am Fuße des Berges Knockfierna erreichte er auf seinem Weg einen Mann von würdigem Aussehen, der auf einem weißen Pferd dahintrabte.
Die Nacht war schon herangekommen und nachdem sie sich gegenseitig gegrüßt hatten, ritten sie eine Zeit lang nebeneinander her, ohne viel Worte zu wechseln. Endlich fragte Caroll O’Daly seinen Gefährten, wie weit er denn noch reite?
»Nicht mehr lange mit Euch«, antwortete der Mann.
»Und was treibt Euch in der Nachtzeit hierher?« fragte O’Daly.
»Wenn Ihr es wirklich wissen wollt«, antwortete dieser, »das stille Volk.«
»Die Elfen meint Ihr?« rief O’Daly.
»Redet leise!« sagte der andere, »oder es könnte Euch übel bekommen.« Mit diesen Worten wendete er sein Pferd seitwärts zu einem schmalen Pfad, der den Berg hinauf führte, indem er dem Caroll noch gute Nacht und glückliche Reise wünschte.
»Dieser Geselle«, dachte Caroll, »hat nichts Gutes vor in dieser Nacht und ich möchte schwören, es treibt ihn zu dieser Stunde etwas ganz anderes auf den Berg, als die Elfen oder das stille Volk!«
»Die Elfen!« wiederholte er, »kein vernünftiger Mensch würde den kleinen Rotkappen einfach so nachlaufen! Einige behaupten wohl, dass es solche Geschöpfe gibt, andere leugnen es aber auch. So viel ich weiß, sind sie klein und kein Dutzend davon kann mich erschrecken. Ja, keine zwei Dutzend, wenn sie nicht größer sind, als ich es sagen hörte.«
Während diese Gedanken ihm durch den Kopf gingen, richtete er seine Augen beständig auf den Berg, hinter welchem der Vollmond in aller Pracht aufstieg. Da bemerkte er auf einer Erhöhung gerade vor der Mondscheibe die schwarze Gestalt eines Mannes, der ein Pferd leitete und zweifelte nicht, dass dies derselbe Mann sei, mit dem er des Weges gekommen war.
Der Entschluss ihm zu folgen fuhr blitzschnell durch seine Seele. Sein Mut und seine Neugierde hatten jede Bedenklichkeit verscheucht. Ein Lied leise vor sich hin brummend stieg er sodann von seinem Pferd ab, band es an einen alten Baumstamm und stieg unerschrocken den steilen Berg hinauf. Er folgte immer dem Pfad in der Richtung, die der Mann vor ihm genommen hatte; dann und wann erblickte er ihn auch wieder und nahm ihn zu seinem Ziel.
Beinahe drei Stunden lang stieg er so mühsam auf dem rauen und steinigen Pfad nach oben, bis er endlich zu einer kleinen Rasenfläche auf der Spitze des Berges gelangte, wo er das Pferd des Mannes in aller Freiheit und Ruhe grasen sah. O’Daly sah sich rings um nach dem Reiter, konnte ihn aber nirgends sehen.
Bald darauf entdeckte er in der Nähe des Pferdes eine Öffnung im Berg, gleich der Mündung eines tiefen Schachts, und erinnerte sich, in seiner Kindheit manche Erzählung von der schwarzen Höhle des Berges Knockfierna gehört zu haben: sie sei der Eingang zu der Wohnung, welche das stille Volk mitten im Berg innehabe.
Einmal sei ein Mann, namens Ahern, Landvermesser in diesem Teil der Grafschaft, welcher mit einer Schnur versucht hatte, die Tiefe der Höhle zu ergründen, an eben dieser Schnur hinab gezogen worden, ohne dass man je wieder etwas von ihm gehört habe; und manches andere dieser Art.
»Das sind alles nur alte Weibergeschichten!« dachte O’Daly, »und da ich den weiten Weg gemacht habe, so will ich auch an die Haustür klopfen und sehen, ob die Geister wirklich daheim sind.«
Ohne sich weiter zu bedenken, fasste er einen gewaltigen Stein, so dick, ja so dick wie seine beiden Hände, und schleuderte diesen mit aller Kraft in die Öffnung. Er hörte, wie der Stein in die Höhle sprang und von einem Felsen zum anderen mit gewaltigem Getöse abprallte. Dann bog er sein Gesicht etwas vor, um zu vernehmen, ob der Stein auch wirklich auf dem Grund niederfalle.
Aber derselbe Stein, den er gerade hinab geworfen hatte, kam mit nicht geringerer Gewalt, als er hinunter gesprungen war, wieder zurück und gab ihm einen solchen Schlag ins Gesicht, dass er über Hals und Kopf von einer Klippe zur anderen taumelnd, wieder den Berg hinabrollte, viel schneller, als er hinaufgestiegen war.
Am folgenden Morgen fand man Caroll O’Daly neben seinem Pferd liegend, arg geschunden und die Kleidung zerrissen, die Augen geschwollen und die eingedrückte Nase entstellte ihn auf sein Lebtag lang.
So kann es einem ergehen, der nicht an Märchen glauben will.
Die erzürnten Elfen · Märchen aus Irland · Zorn und Vergeltung
Bescheiden können nur die Menschen sein, die genug Selbstbewusstsein besitzen.
Gabriel Laub