Das Orakel · Iwan Krylow
In einem Tempel stand ein hölzern Götzenbild.
Das gab prophetische Bescheide
und weisen Rat in jeglichem Verdruss.
Es hatte manchen Kummer schon gestillt;
darum war es vom Kopfe bis zum Fuß
behangen mit Geschmeide
und angetan mit prächtigen Gewanden.
Von Weihrauch war es dicht umhüllt,
der heil'ge Raum war stets gefüllt
mit Betenden aus allen Landen.
Es wurde überhäuft mit Opfergaben,
da jeder spendete, der Aufschluss wollte haben.
Und weil der Ausspruch immer sich erfüllt,
so glaubte man auch blind an das Orakel.
Da plötzlich — oh wie seltsam — welche Schmach,
kommt nur Geschwätz noch aus dem Tabernakel.
Der Sprüche Sinn ist leer, und ach,
darüber kann sich niemand trügen,
was das Orakel sagt,
gleichviel, worüber man's befragt —
sind so viel Worte, so viel Lügen.
Die Gläubigen sind zerstieben:
Kein Mensch begreift, wo denn die Kraft geblieben.
Doch das verhielt sich solchermaßen:
Das Götzenbild war hohl, und drinnen saßen
die Priester, die da sprachen zu den Frommen.
Darum, wenn klug der Priester war,
so sprach das Bild nicht dumm,
doch wenn ein Einfaltspinsel stak im Heiligtum,
So war dem Holzkopf auch der Witz genommen.