Bedürfnis nach Liebe

Bedürfnis nach Liebe · Dalai Lama · Zufriedenheit und Glück

All unserer Erfahrung liegt … ob wir uns dessen bewusst sind und darüber nachdenken oder nicht … eine große Frage zugrunde: Worin besteht der Sinn des Lebens?

Der Sinn und Zweck unseres Daseins liegt nach meiner Überzeugung darin, glücklich zu sein. Vom Augenblick der Geburt an möchte jeder Mensch glücklich sein, und niemand will leiden.

Weder soziale Konditionierung noch Erziehung oder Ideologien wirken sich darauf aus. Im Kern unseres Daseins haben wir einfach diesen tiefen Wunsch nach Zufriedenheit.

Ob dem gesamten Universum mit seinen zahllosen Galaxien, Sternen und Planeten darüber hinaus noch eine tiefere Bedeutung innewohnt, weiß ich nicht. Zumindest so viel aber ist klar: Wir Menschen auf dieser Erde stehen vor der nicht leichten Aufgabe, so zu leben, dass wir glücklich sind.

Wir sind etwas grundlegend anderes als ein maschinell hergestelltes Objekt, mehr als bloße Materie. Wir haben Empfindungen und wir machen Erfahrungen. Wären wir lediglich mechanische Gebilde, kann könnten Maschinen all unser Leid lindern und all unsere Bedürfnisse stillen.

Doch materielles Wohlergehen allein genügt nicht. Kein materiellen Objekt, wie schön oder Wertvoll es auch sein mag, kann bewirken, dass wir uns geliebt fühlen. Wir brauchen etwas tiefer Gehendes, das ich gewöhnlich als menschliche Zuneigung oder Wärme bezeichne.

Mit menschlicher Wärme oder Mitgefühl können wir all die materiellen Annehmlichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, sehr konstruktiv einsetzen und gute Resultate erzielen.

Fehlt es hingegen an menschlicher Wärme, so bleiben bloße materielle Annehmlichkeiten unbefriedigend und sie bringen keinerlei inneren Frieden oder Glück.

Tatsächlich können materielle Annehmlichkeiten ohne menschliche Wärme sogar noch zusätzliche Probleme heraufbeschwören. Indem wir uns auf unsere Ursprünge und auf unsere Natur besinnen, stellen wir also fest, dass niemand ohne das Bedürfnis nach Liebe geboren wird.

Und den Menschen kann man, auch wenn die Anhänger manch neuzeitlicher Weltanschauung dies versuchen, nicht als ein ausschließlich physisches Wesen definieren.

Liebe und Mitgefühl verschaffen uns letztlich einfach deshalb größtes Glück, weil wir beidem von Natur aus mehr Wert beimessen als allem anderen. Wie begabt und geschickt ein Individuum auch sein mag, auf sich allein gestellt wird es nicht überleben.

Wie kraftstrotzend und unabhängig wir uns in der Blütezeit unseres Lebens auch fühlen mögen … Im Krankheitsfall, in sehr jungen Jahren oder im Alter sind wir auf Unterstützung durch andere angewiesen.

Möglicherweise haben wir unterschiedliche Überzeugungen, wenn es um Fragen der Entstehung und Entwicklung unserer Welt geht, können uns aber zumindest darauf verständigen, dass jeder von uns durch die eigenen Eltern in die Welt gesetzt wurde.

Unsere Empfängnis kam im Allgemeinen nicht allein im Kontext eines sexuellen Verlangens zustande, sondern war auch eine Entscheidung unserer Eltern zugunsten eines Kindes.

Solche Entscheidungen beruhen auf Verantwortungsbewusstsein und auf Altruismus: Die Eltern gehen die aus Mitgefühl erwachsende Verpflichtung ein, sich um ihr Kind zu kümmern und für dieses Wesen so lange Sorge zu tragen, bis es für sich selbst sorgen kann.

Schon vom Augenblick unserer Empfängnis an trägt also die Liebe unserer Eltern unmittelbar zu unserer Menschwerdung bei.

Wie ich aufgrund von Gesprächen mit einigen Naturwissenschaftlern, insbesondere aus dem Bereich der Neurobiologie, weiß, gaben manche wissenschaftlich signifikanten Hinweise zu der Vermutung Anlass, dass selbst während der Schwangerschaft die innere Verfassung der Mutter einen starken Einfluss auf das körperlich und geistige Wohlbefinden des Ungeborenen ausübt.

Es scheint ganz entscheidend darauf anzukommen, ob die Mutter einen ruhigen und entspannten Geisteszustand zu wahren versteht oder nicht.

Nach der Geburt sind dann die ersten Wochen eine besonders bedeutsame Phase für die gesunde Entwicklung des Kindes.

Während dieser Zeit, so hat man mir erläutert, zählt der beständige körperliche Kontakt mit der Mutter zu den wichtigsten Faktoren, die ein rasches und gesundes Wachstum des kindlichen Gehirns gewährleisten.

Kümmert man sich in dieser kritischen Zeit nicht gebührend um das Baby, sondern vernachlässigt es, so treten die Auswirkungen auf das geistige Wohlergehen des Kindes vielleicht nicht unmittelbar zutage; doch werden daraus Beeinträchtigungen resultieren, die sich später ganz deutlich bemerkbar machen können.

Auch im weiteren Verlauf der Kindheit spielen Liebe und Fürsorglichkeit eine entscheidende Rolle. Sieht ein Kind jemanden mit einem offenen und liebevollen Verhalten, einen lachenden Menschen, jemanden mit einem liebe- und teilnahmsvollen Gesichtsausdruck, so fühlt es sich ganz selbstverständlich glücklich und geborgen.

Falls hingegen jemand dem Kind etwas zuleide zu tun versucht, wird es von Angst erfasst, was seine Entwicklung negativ beeinflusst.

Heutzutage wachsen viele Kinder unter unglücklichen familiären Verhältnissen auf. Erfahren sie nicht die notwendige Zuneigung, so werden sie im späteren Leben ihre Eltern schwerlich lieben, und vielfach wird es ihnen Mühe bereiten, andere zu lieben.

Wenn die Kinder älter werden und zur Schule gehen, kommt es darauf an, dass die Lehrer dem Bedürfnis der Kinder nach Unterstützung gerecht werden.

Beschränkt sich ein Lehrer oder eine Lehrerin nicht bloß auf eine fachliche Ausbildung, sondern übernimmt zugleich die Verantwortung dafür, dass die Schülerinnen und Schüler auch eine das Leben vorbereitende Bildung mit auf den Weg bekommen, so werden diese Vertrauen und Respekt empfinden, und das Erlernte wird in ihrem Geist einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen.

Vermittelt ein Lehrer hingegen Lerninhalte, ohne wirkliches Interesse am allgemeinen Wohl der Schüler zu zeigen, so werden diese Inhalte nur als Dinge von vorläufiger Bedeutung betrachtet und prägen sich nicht langfristig ein.

Wird man als Kranker im Krankenhaus von einem Arzt behandelt, der menschliche Wärme an den Tag legt, fühlt man sich direkt wohler; und allein schon der Wunsch des Arztes, Ihnen die bestmögliche Betreuung angedeihen zu lassen, wirkt heilsam, unabhängig von den fachlichen Fähigkeiten des oder der Betreffenden.

Fehlt Ärzten hingegen das nötige menschliche Einfühlungsvermögen, steht ihnen die Unfreundlichkeit, Ungeduld oder Gleichgültigkeit ins Gesicht geschrieben, so fühlen wir uns unsicher … selbst wenn es sich um einen hochgradig qualifizierten Mediziner handelt, der einen korrekten Krankheitsbefund erstellt und die richtigen Arzneimittel verordnet.

Für eine möglichst gute und vollständige Genesung spielen die Empfindungen des Patienten unweigerlich eine große Rolle.

Auch in alltäglichen Gesprächssituationen hören wir gerne jemanden zu, der mit menschlicher Wärme spricht, und reagieren dementsprechend. Das Gespräch als Ganzes wird interessant, wie belanglos das Thema auch sein mag.

Spricht hingegen jemand in teilnahmslosem oder schroffem Ton, so fühlen wir uns unwohl und haben den Wunsch, den Kontakt mit der betreffenden Person rasch zu beenden.

Vom unbedeutendsten bis hin zu einem überaus wichtigen Vorkommnis sind die Zuneigung und der Respekt anderer Menschen unverzichtbar für unser Glück.

Unlängst hat ein Gruppe von Wissenschaftlern erklärt, dass die Quote der Geisteskrankheiten relativ hoch sei und rund zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmache. Depressionen werden nicht durch Mangel an materiellen Dingen hervorgerufen, sondern durch Unfähigkeit, Zuneigung zu zeigen, und durch Mangel an persönlich erfahrener Zuneigung.

Wie aus alldem zu ersehen ist, liegt uns … ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht … vom Tag unserer Geburt an das Bedürfnis nach menschlicher Zuneigung im Blut.

Selbst wenn die Zuneigung von einem Tier herrührt oder von jemandem, den wir normalerweise als unseren Feind betrachten würden, Kinder wie Erwachsene fühlen sich auch von dieser Zuneigung angezogen.

Bedürfnis nach Liebe · Dalai Lama · Zufriedenheit und Glück

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Autor: Dalai Lama

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Wähle ein Objekt der Natur wie zum Beispiel eine Blume, einen Insekt oder einen Baum. Entspanne dich und erforsche dieses Objekt so genau, als hättest du es zuvor noch nie gesehen. Erkunde es visuell und trete mit ihm gedanklich in Verbindung, solange es deine Konzentration erlaubt.

Aventin