Rip van Winkle · Kurzgeschichte Literatur Amerika
Rip van Winkle ist die zentrale Figur der gleichnamigen Erzählung von Washington Irving aus dem Jahr 1819 und gilt als eine der frühesten und bekanntesten Kurzgeschichten der amerikanischen Literatur.
Im Mittelpunkt steht ein beschaulicher Bauer, der im kolonialen New York lebt, dem Streit mit seiner Frau durch Müßiggang und Streifzüge ausweicht und bei einer mysteriösen Begegnung in den Bergen in einen Zauberschlaf verfällt.
Als er aufwacht, sind 20 Jahre vergangen: Seine Frau ist verstorben, die Kinder sind erwachsen, und die politische Weltordnung hat sich radikal gewandelt – die amerikanische Revolution ist vorbei, die Monarchie Vergangenheit, und Rip muss sich in der neuen Gesellschaft zurechtfinden. Eingeschlafen als Untertan Seiner Majestät und aufgewacht als Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika.
Besonderheit der Geschichte:
Rip van Winkle ist vor allem für sein langes Schlafen und die damit verbundene »verschlafene« Zeitgenossenschaft berühmt. Während er im Zauberschlaf liegt, verpasst er grundlegende historische Umwälzungen – konkret die Unabhängigkeitserklärung und Revolutionsjahre der USA.
Die Vorlage für Irvings Erzählung war unter anderem die deutsche Sage vom Ziegenhirt, bei der ebenfalls ein langer Schlaf und der Wandel der Welt zentrale Themen sind.
Rip begegnet im Gebirge geheimnisvollen, altmodisch gekleideten Gestalten, schenkt ihnen aus einem Fass Schnaps ein, trinkt selbst und schläft ein.
Nach dem Erwachen erinnert sich nur eine alte Frau an ihn; die Identität der Berggestalten wird als Henry Hudson und dessen Mannschaft gedeutet – einer Sagenfigur aus der niederländisch-amerikanischen Geschichte.
Der lange Schlaf wird als magisches Ereignis ohne moderne Erklärung präsentiert und Rip wird zum Sinnbild des weltabgewandten, lebensfrohen Außenseiters.
Literarische und historische Bedeutung:
Literarisch gilt »Rip van Winkle« als gelungene Verschmelzung europäischen Sagenguts mit amerikanischer Frühgeschichtsschreibung und als Gründungsmythos einer eigenständigen US-amerikanischen Literatur.
Die Erzählung steht für den Übergang von der Kolonial- zur Unabhängigkeitsära und thematisiert Identität und Erinnerung in Zeiten politischen und gesellschaftlichen Umbruchs.
Die Figur des Rip ist eine ironische Parabel auf jene, die politische und gesellschaftliche Ereignisse »verschlafen« oder sich ihnen entziehen.
Im Wechselspiel von Stillstand (Rip) und historischem Fortschritt (Revolution) zeigt Irving, wie individuelle Lebensläufe von äußeren Veränderungen geprägt sind, aber auch, wie Anpassungsfähigkeit überlebenswichtig wird.
Philosophische Deutung:
Philosophisch kann die Geschichte als Reflexion über Zeit, Identität und Vergänglichkeit gelesen werden. Rips 20-jähriger Schlaf ist Symbol für Entfremdung und Passivität angesichts unaufhaltsamen Wandels.
Die Konfrontation mit einer fremd gewordenen Welt wirft Fragen nach Zugehörigkeit, Selbstverständnis und dem Sinn für das »richtige« Leben auf.
Der Text fragt indirekt danach, wie viel Kontrolle Menschen über ihr eigenes Schicksal angesichts größerer geschichtlicher Strömungen haben.
Das Motiv des langen Schlafs inspiriert ähnliche Motive in Literatur und Popkultur, von Dornröschen über Science-Fiction bis zu Filmen wie »Zurück in die Zukunft.«
Zusammenfassung:
»Rip van Winkle« ist Erzählung, Märchen und Metapher zugleich für gesellschaftlichen Wandel, für das (Nicht-)Erleben von Geschichte und für den befreienden wie tragischen Moment der Entfremdung von der eigenen Zeit.
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