Loch und Löcher - Kurt Tucholsky

Advertisements

Loch und Löcher · Kurt Tucholsky · Satire · Nichts

Zur soziologischen Psychologie der Löcher: Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist!

Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des Nichtlochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut. Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch, aber auch keine Philosophie, und erst recht keine Religion, als welche aus dem Loch kommt.

Die Maus könnte nicht leben ohne es, der Mensch auch nicht: Das Loch ist die letzte Rettung, wenn sie von der Materie bedrängt werden. Loch ist immer gut.

Wenn der Mensch »Loch« hört, bekommt er Assoziationen: Manche denken dann an »Zündloch», manche an »Knopfloch« und manche an ……………!

Das Loch ist der Grundpfeiler unserer Gesellschaftsordnung, und so ist sie auch. Die Arbeiter wohnen in einem finstern, stecken immer eins zurück, und wenn sie aufmucken, zeigt man ihnen wo der Zimmermann es gelassen hat. Sie werden dann hineingesteckt, und zum Schluss überblicken sie die Reihe dieser Löcher, und pfeifen auf den Letzten.

In der Ackerstraße ist Geburt Fluch; warum sind diese Kinder auch gerade aus diesem gekommen? Ein paar Löcher weiter, und das Assessorexamen wäre ihnen sicher gewesen.

Das Merkwürdigste an einem Loch ist der Rand. Er gehört noch zum Etwas, sieht aber beständig in das Nichts, eine Grenzwache der Materie sozusagen. Das Nichts hat keine Grenzwache: während den Molekülen am Rand eines Lochs schwindlig wird, weil sie in das Loch sehen, wird den Molekülen des Lochs …… festlig?

Dafür gibt es kein Wort. Denn unsere Sprache ist von den Etwas-Leuten gemacht; die Loch-Leute sprechen ihre eigene.

Das Loch ist statisch; Löcher auf Reisen gibt es nicht. Fast nicht.

Löcher, die sich vermählen, werden ein Eines, einer der sonderbarsten Vorgänge unter denen, die sich nicht denken lassen. Trenne die Scheidewand zwischen zwei Löchern: Gehört dann der rechte Rand zum linken Loch? oder der linke zum rechten? oder jeder zu sich? oder beide zu beiden? Meine Sorgen möchte ich haben!

Wenn ein Loch zugestopft wird: wo bleibt es dann? Drückt es sich seitwärts in die Materie? oder läuft es zu einem anderen Loch, um ihm sein Leid zu klagen – wo bleibt das zugestopfte Loch? Niemand weiß das: unser Wissen hat hier eines. Wo ein Ding ist, kann kein anderes sein. Wo schon ein Loch ist: kann da noch ein anderes sein? Und warum gibt es keine halben Löcher --- ?

Manche Gegenstände werden durch ein einziges Löchlein entwertet; weil an einer Stelle von ihnen etwas nicht ist, gilt nun das ganze übrige auch nichts mehr. Beispiele: ein Fahrschein, eine Jungfrau oder ein Luftballon.

Das Ding an sich muss noch gesucht werden; das Loch ist schon an sich da. Wer mit einem Bein im Loch steckt und mit dem anderen bei uns: der allein wäre wahrhaft weise. Doch soll dies noch keinem gelungen sein, wie man hört! Größenwahnsinnige behaupten, das Loch sei etwas Negatives! Das ist nicht richtig: der Mensch ist ein Nicht-Loch, und das Loch ist das primäre!

Lochen sie nicht; das Loch ist die einzige Vorahnung des Paradieses, die es auf Erden gibt. Wenn sie tot sind, werden sie erst merken, was Leben ist.

Verzeihen sie diesen Abschnitt; ich hatte nur zwischen dem vorigen Stück und dem nächsten ein Loch ausfüllen wollen.

Loch und Löcher · Kurt Tucholsky · Satire · Nichts

Loch und Löcher - Kurt Tucholsky · AVENTIN Storys
kurt tucholsky schriftsteller pazifist publizist pseudonym kaspar hauser peter panter theobald tiger ignaz wrobel 24

Loch und Löcher · Kurt Tucholsky · Satire · Zur soziologischen Psychologie der Löcher: Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist!

URL: https://aventin.de/loch-und-loecher-kurt-tucholsky/

Autor: Kurt Tucholsky

Bewertung des Redakteurs:
4
Advertisements
Loch und Löcher - Kurt Tucholsky · AVENTIN Storys

Loch und Löcher · Kurt Tucholsky · Satire · Zur soziologischen Psychologie der Löcher: Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist!

URL: https://aventin.de/loch-und-loecher-kurt-tucholsky/

Autor: Kurt Tucholsky

Bewertung des Redakteurs:
4